Ratzinger und Murphy’s Law [Update 2]


Nun also Pater Murphy. Seit Wochen laufen die Versuche, dem früheren Erzbischof von München und dann Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger die möglichst direkte Schuld an sexuellen Misshandlungen an Kindern zu geben.

Zuerst indirekt, indem man seinem Bruder (erfolglos) Mitschuld an entsprechenden Vorfällen beim Regensburger Kinderchor vor fünfzig Jahren geben wollte. Tatsächlich nahm er die Schuld für ein paar Ohrfeigen auf sich, was damals aber (leider) völlig im gesellschaftlichen Mainstream war, und z.B. in Frankreich heute noch gesetzlich erlaubt ist.

Dann direkt über einen Priester aus dem Bistum Essen, der zur Therapie nach München versetzt worden war. Zuerst hatte der Generalvikar den betroffenen Priester als Aushilfe eingesetzt, obwohl er noch nicht austherapiert war (falls das überhaupt möglich ist). Der entscheidende Fehler — nämlich den bereits ein zweites Mal therapierten Priester wieder in normaler Pfarrseelsorge einzusetzen — wurde dann von Ratzingers Nachfolger Wetter gesetzt, der sich für seine Fehleinschätzung später entschuldigt hat. Obwohl es ja auch den Grundsätzen unseres Rechtsstaats entspricht, jedem nach Abbüßung seiner Strafe eine neue Chance zu geben, weswegen ja z.B. auch kaum eine „lebenslange“ Strafe bis zum Tode dauert.

Jetzt muss ein Fall herhalten, bei dem die staatlichen Behörden völlig informiert waren, aber nichts unternommen haben, nämlich der Fall Murphy, bei dem ein Priester in den Siebziger Jahren gehörlose Kinder sexuell misshandelt haben soll. Die Untätigkeit der Behörden wird in der medialen Berichterstattung übrigens nicht kritisiert.  Die Glaubenskongregration wurde mit dem Fall zwanzig Jahre später befasst, was nach damaliger kirchenrechtlicher Lage überhaupt nur möglich war, weil Pater Murphy bei seinen Untaten auch die Beichtsituation ausgenützt haben soll. Erst seit 2001 gibt es ja eine Zuständigkeit des Vatikans auch bei sexuellen Misshandlungen; vorher war hier nur der Ortsbischof befasst.

Murphy war jedenfalls bereits sehr alt und krank, und nicht mehr im Stande, weitere Verbrechen zu begehen, eine Kirchenstrafe daher nicht zielführend, die ja kein Ersatz für weltliche Strafen ist (was oft vergessen wird). Der Pater starb tatsächlich vier Monate später. Der letzte Vorfall lag außerdem bereits Jahrzehnte zurück. Daher schlug die Glaubenskongregation dem zuständigen Bischof vor, Murphys Befugnisse strikt einzuschränken und von ihm Reue einzufordern; widrigenfalls sollte er laisiert werden. Der Bischof berichtete über die Maßnahmen und darüber, das die Diözese Therapien für Opfer Murphys bezahle. Zwei Tage nach dem Bericht des Bischofs stirbt Murphy.

Auch hier stellt sich die Frage, was eigentlich das Vergehen der Glaubenskongregation gewesen sein soll. Die staatlichen Stellen waren informiert. Der Fall wurde untersucht, und Konsequenzen gezogen. Oder soll der Vatikan jetzt auch weltliche Strafen in die eigene Hand nehmen? Der Skandal ist doch vielmehr, dass die Diözese Milwaukee so lange gebraucht hat, um den Fall überhaupt zu behandeln.

Natürlich sind Geschichten über den „bösen Papst“ ein journalistischer Knüller. Und nachdem die meisten Journalisten vom Kirchenrecht so viel Ahnung haben wie von Atomphysik, kann man seriöse Berichterstattung hier nicht erwarten. So geistert ja in Journalistenstuben immer noch die Verschwörungstheorie herum, die Kirche hätten eine zeitlang Anzeigen sexueller Verbrechen bei staatlichen Stellen untersagt, was blanker Unsinn ist. Tatsächlich gibt es aber im kirchlichen Verfahren einen strengen Datenschutz, der z.B. dafür sorgt, dass die Opfer keine Sorge haben müssen, dass dem Beschuldigten persönliche Details der Opfer bekannt werden.

Was mir Sorge macht, dass viele Menschen immer noch den Medien vertrauen (warum auch immer) und nach den vielen Versuchen von Journalisten, dem jetzigen Papst etwas anzuhängen, in den Köpfen etwas hängen bleibt. Man kennt das: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“ — „Irgendwas wird schon dran sein“ — „Warum sonst sollten die so etwas schreiben, wenn es nicht stimmt“. Ja, warum sollten die so etwas schreiben, wenn es nicht stimmt? Einfach: Weil es eine schöne Schlagzeile abgibt, Interesse weckt und den eigenen unterschwelligen Vorurteilen entgegenkommt.

Übrigens: Hier gibt es die offizielle Erklärung des Vatikan zum Fall Murphy.

[Update]

Es passt ganz gut dazu: Der Pixelökonom hat eine Arbeit gefunden, die spieltheoretisch die Rolle des Zölibats im lateinischen Ritus der Katholischen Kirche untersucht. Analyse der Wissenschafter:

However, this paper shows that from a strategic point of view, there are good reasons for the Catholic Church to keep, or even to increase, the role of celibacy for its priests.

[Update 2]

Siehe kursiv gesetzten Text.

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