Die kurze Reise von Papst Franziskus nach Albanien ist medial etwas untergegangen, obwohl sie viele wichtige Hinweise auch für den Rest der Welt enthalten hat.
Albanien war jahrelang offiziell ein „atheistischer Staat“, womit gemeint war, dass der Kommunismus und der Kult um Staatschef Enver Hoxha Staatsreligion waren. Im Einklang damit gab es eine intensive Verfolgung der gläubigen Menschen. Wie in Albanien oder im Rahmen der Französischen Revolution, so bedeutet auch sonst aufgezwungener Atheismus nichts anderes als den gewaltsamen Versuch, den Glauben der Menschen durch eine andere Religion zu ersetzen.
Da es hier um das Innerste des Menschen geht, genauso um sein äußerstes Ziel, widersetzten sich viele mutig diesem Zwang offen; noch mehr andere zumindest heimlich. Die Begegnung des Papstes mit Überlebenden der Verfolgung ist wohl der berührendste Teil der Reise gewesen. Menschen, die jahrzehntelang inhaftiert waren, deren Todesurteil durch eine Fügung nicht vollstreckt war, die ihre Geschichte jetzt der Welt erzählen konnten. Viele andere mussten ihr Leben lassen, weswegen der Papst die Albaner als Volk der Märtyrer gewürdigt hat.
Die ganze Verfolgung erwies sich glücklicherweise als fruchtlos. Vor der Schreckensherrschaft des Hoxha-Regimes sollen etwa 70% der Albaner Moslems, 20% orthodox und 10% katholisch gewesen sein. Offiziell sind heute knapp 60% der Albaner Moslems, wiederum 10% katholisch und etwas weniger orthodox. Die übrigen Albaner neigen in der Praxis aber wohl einer der genannten Glaubensrichtungen zu, ausgenommen die ewiggestrigen Hoxha-Anhänger.
In dieser Praxis zeichnet sich Albanien durch ein friedliches Miteinander der Religionen aus. So sind auch viele Moslems in Tirana auf den Beinen gewesen, um den Papstbesuch mitzuerleben. „Papst Franziskus macht Albanien stolz“, schreibt die Deutsche Presseagentur (und in Gefolge die APA) zurecht. Zu diesem Miteinander trägt wohl auch die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung bei.
Papst Franziskus hat der Religionsfreiheit bei der Begegnung mit den Führern anderer Religionen und christlicher Konfessionen breiten Raum gewidmet. Der ganze Text ist sehr interessant, ich möchte aber folgende Stelle besonders herausgreifen:
[…] Ich erlaube mir, auf zwei Haltungen hinzuweisen, die besonders nützlich sein können bei der Förderung dieser Grundfreiheit.
Die erste besteht darin, in jedem Mann und jeder Frau – auch in denen, die nicht der eigenen religiösen Tradition angehören – nicht Rivalen und noch weniger Feinde zu sehen, sondern Brüder und Schwestern. Wer sich seiner eigenen Überzeugungen sicher ist, hat es nicht nötig, sich durchzusetzen und Druck auf den anderen auszuüben: Er weiß, dass die Wahrheit ihre eigene Strahlkraft besitzt. Im Grunde sind wir alle Pilger auf dieser Erde, und auf dieser unserer Reise leben wir in unserer Sehnsucht nach Wahrheit und Ewigkeit nicht als autonome Wesen, die sich selbst genügen – weder als Einzelne noch als nationale, kulturelle oder religiöse Gruppen –, sondern hängen voneinander ab, sind gegenseitig der Sorge der anderen anvertraut. Jeder religiösen Tradition muss es von innen her gelingen, dem Dasein des anderen Achtung zu zollen.
Eine zweite Haltung ist das Engagement zugunsten des Gemeinwohls. Jedes Mal, wenn die Zugehörigkeit zur eigenen religiösen Tradition einen überzeugteren, großzügigeren und selbstloseren Dienst an der gesamten Gesellschaft hervorbringt, ist das eine authentische Ausübung und Entwicklung der Religionsfreiheit. Dann erscheint diese nicht nur als ein rechtmäßig eingeforderter Raum der Unabhängigkeit, sondern als eine Möglichkeit, die mit ihrer fortschreitenden Ausübung die Menschheitsfamilie bereichert. Je mehr man den anderen zu Diensten ist, umso freier ist man! […]
Und dann möchte ich etwas ansprechen, das immer ein Phantom ist: der Relativismus, „alles ist relativ“. In diesem Zusammenhang müssen wir einen klaren Grundsatz berücksichtigen: Man kann keinen Dialog führen, wenn man nicht von der eigenen Identität ausgeht. Ohne Identität kann es keinen Dialog geben. Das wäre ein Scheindialog, ein Dialog in den Wolken – er ist nutzlos. Jeder von uns hat seine religiöse Identität und ist ihr treu. Aber der Herr weiß, wie die Geschichte voranzubringen ist. Gehen wir ein jeder von seiner eigenen Identität aus, und tun wir nicht so, als hätten wir eine andere, denn das nützt nichts und ist nicht hilfreich, das ist Relativismus. Was uns verbindet, ist der Weg des Lebens, ist der gute Wille, von der eigenen Identität auszugehen, um den Brüdern und Schwestern Gutes zu tu. Gutes tun! Und so gehen wir miteinander als Geschwister. Jeder von uns bietet dem anderen das Zeugnis der eigenen Identität an und
kommt mit dem anderen ins Gespräch. Dann kann der Dialog über theologische Fragen weitergeführt werden, aber wichtiger und schöner ist, miteinander zu gehen, ohne die eigene Identität zu verraten, ohne sie zu verschleiern, ohne Heuchelei. Mir tut es gut, so zu denken.
Es gibt freilich viele Glaubensüberzeugungen, denen die Idee völlig fremd ist, in anderen Menschen Bruder und Schwester zu sehen. Man braucht nur Friedrich Nietzsche lesen, um das ganz ausdrücklich vor Augen geführt zu bekommen. Doch in einer pluralistischen Gesellschaft ist die Akzeptanz des Anderssein des Anderen Grundvoraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben. Das auch die Akzeptanz des Eigenseins dazugehört, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber nicht, weswegen Papst Franziskus die Nebelwolke des Relativismus ansprechen muss, die auch heute noch gerne zur Tarnung von Gegnern der organisierten Religion versprüht wird.
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