Stellen wir uns vor: Die Koalition aus SPÖ und ÖVP halbiert bei einer Nationalratswahl ihren Stimmenanteil und kommt zusammen auf vielleicht nur mehr 27%, ein Absturz, der in den Umfragen auch schon seit Jahren prophezeit wird. Medial wird vor der Wahl aber nur die Frage gewälzt, ob eine Partei, die bei der letzten Wahl 10% Prozent der Simmen errungen hat — sagen wir, so wie die FPÖ 2002 und 2006 –, 15% oder 20% erreichen könnte, wiewohl klar ist, dass eine Regierungsbildung unter Führung dieser Partei völlig ausgeschlossen ist.
Partei | 2002 | 2003 | 2006 | 2010 | 2012 | 2017 |
---|---|---|---|---|---|---|
PVV | (n.k.) | (n.k.) | 5,9% | 15,4% | 10,1% | 13,1% |
VVD | 15,5% | 17,9% | 14,7% | 20,5% | 26,6% | 21,2% |
CDA | 27,9% | 28,6% | 26,5% | 13,6% | 8,5% | 12,5% |
D66 | 5,1% | 4,0% | 2,0% | 6,9% | 8,0% | 12,0% |
PvdA | 15,1% | 27,2% | 21,2% | 19,6% | 24,8% | 5,7% |
SP | 5,9% | 6,3% | 16,6% | 9,8% | 9,7% | 9,2% |
GL | 7,0% | 5,1% | 4,6% | 6,7% | 2,3% | 8,9% |
andere | 23,5% | 10,9% | 8,5% | 7,5% | 10,0% | 17,4% |
Das ist in etwa das mediale Szenario rund um die niederländischen Wahlen für die Zweite Kammer der Generalstaaten. Die Regierungsparteien mussten herbe Verluste einstecken, dennoch wird VVD-Chef Mark Rutte als der Wahlsieger gefeiert. Den Titel muss er sich wohl mit Wilders’ PVV, den Christdemokraten (CDA) und den Linksliberalen (D66) teilen, auch GrünLinks darf sich durchaus als Wahlsieger fühlen. Abgerechnet wird nun einmal nach Wahltagen, nicht nach Umfragen.
Nun ist es in der volatilen politischen Landschaft der Niederlande durchaus ein Kunststück, so wie Rutte zum dritten Mal in Folge eindeutig den Führungsanspruch stellen zu können. Gegen ihn wird es wohl keine Koalition geben. Das hat aber weniger mit Geert Wilders zu tun als mit der drastischen Verkleinerung des linken Lagers und der völligen Zersplitterung der politischen Landschaft. So haben die Kleinparteien zusammen über 17% der Stimmen errungen, darunter eine Tierrechtspartei, eine Pensionistenpartei und eine türkische Partei. Insgesamt werden 13 Parteien im Parlament vertreten sein.
„Links is weggevaagd“
„Die Linke ist hinweggefegt“ titelt die niederländische Tageszeitung Telegraaf. 1998 stellte die Arbeitspartei mit Wim Kok den Premierminister, zusammen mit der Sozialistischen Partei und GrünLinks hielt das linke Lager knapp 40% der Stimmen. Zwanzig Jahre später sind es knapp 24% — nicht viel mehr, als die rechtsliberale VVD von Mark Rutte allein hält.
Klarer Rechtsruck
Bedenkt man, dass Wilders’ PVV eigentlich eine Abspaltung von der VVD ist — hier hat sich sozusagen die FPÖ von einem bürgerlicheren Liberalen Forum abgespalten –, kann man daher von einer deutlichen Akzentverschiebung in den Niederlanden von Links nach Rechts sprechen. Übrigens hat Rutte ja 2010 bis 2012 eine Minderheitsregierung angeführt, die nur dank Wilders Unterstützung im Amt war und auch von Wilders gestürzt wurde. Ideologisch sind Wilders und Rutte eigentlich nur in der Europapolitik wirklich konträr.
Jedenfalls können die zentristischen Christdemokraten und die linksliberalen D66 trotz eigener passabler Ergebnisse in dieser Gesamtsituation kaum eine alternative Koalition ohne Rutte zusammenstellen.
Reiner Clickbait-Journalismus
Eines ist klar: Die Vorberichterstattung zu den niederländischen Wahlen war in den meisten Medien reiner Clickbait-Journalismus. Wilders wurde zum Popanz gemacht, der es irgendwie schaffen soll, mit selbst in den für ihn besten Umfragen vielleicht 20 Prozent ganz Europa in Gefahr zu bringen. Europa muss dann wohl ziemlich fragil sein.
Der gleiche Unernst herrscht vielerorts in der Nachwahlanalyse, die Gustostückerl hervorbringt wie die Freuden-Tweets des deutschen SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz, wo es doch seine Parteifreunde in den Niederlanden gerade geviertelt hat. Oder die Bezeichnung Mark Ruttes als „europäischen Helden“, weil er angeblich Wilders verhindert habe. Wenn also jemand anderer als Wilders quasi eine pragmatischere Ausgabe der Wilders-Politik macht, ist es eh wieder ok? Man kann sich nur noch an den Kopf greifen …