Wenn Trump eine Frau wäre …

Worton und Embry proben ihre Rollen. Quelle: NYU

Worton und Embry proben ihre Rollen. Quelle: NYU

Normalerweise hüte ich mich vor der medialen Trumpmanie, auch als Trump Derangement Syndrome bezeichnet. Doch diese Geschichte ist wirklich interessant: Eine Professorin an der New York University, Maria Guadalupe, hatte die Idee, Teile der Präsidentschaftsdebatten zwischen Hillary Clinton und Donald Trump mit vertauschten Rollen nachzustellen: Eine Frau würde mit Trumps Worten und Gestik gegen einen Mann antreten, der in die Rolle Clintons schlüpfen würde.

In zwei ausverkauften Vorstellungen traten also zwei Uni-Kollegen und Schauspieler gegeneinader an: Rachel Tuggle Worton als weiblicher Donald Trump unter dem Namen „Brendan King“, Daryl Embry als männliche Hillary Clinton unter dem Namen „Jonathan Gordon“. Beide hatten nicht bloß die Worte memoriert, sondern Tonfall, Gestik und Mimik zu imitieren versucht. Vor und nach der Vorstellung wurden die Zuschauer, überwiegend aus dem Umfeld der Universität und zum allergrößten Teil Clintonwähler, um ihre Beobachtungen zu den echten und den nachgestellten Debatten gebeten.

Die Erwartung von Guadalupe war, dass der männliche Clinton als überzeugend wahrgenommen würde und der weibliche Trump als nicht auszuhalten, weil bei einer Frau Trumps Verhalten nicht geduldet würde. Es kam aber anders: Viele Zuschauer hielten den weiblichen Trump für überzeugender als den echten. Die einfache, verständliche Ausdrucksweise wurde positiv wahrgenommen, während die männliche Clinton als eher uninteressant und langweilig empfunden wurde und durch ihr Dauerlächeln Aggressionen hervorrief.

Für die Macher war es ein Schock, ihre eigenen Stereotypen („Clinton hätte als Mann sicher gewonnen …“) so widerlegt zu sehen. Freilich ist zu bedenken, dass die Zuschauer die Vorstellung der beiden Schauspieler wahrscheinlich offener aufgenommen haben als die echten Debatten, bei denen die eigene Beurteilung durch die gefestigte Einstellung zu den beiden Kandidaten geprägt war.

Ein Ausschnitt aus den Proben:

(über Marginal Revolution)

„Gender Pay Gap“ oder „Family Pay Gap“?

Jedes Jahr veröffentlicht die Statistik Austria eine Mitteilung zum sogenannten „Gender Pay Gap“. Dabei werden die Bruttostundenlöhne von allen Frauen und allen Männern in verglichen, die in Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind.

Die Ermittlung dieses Werts ist schon mit einigen Fallstricken behaftet, da eine korrekte Aufzeichnung und Übermittlung der Stundenlöhne und Entgelte erforderlich ist. Gäbe es etwa eine Branche, in der überdurchschnittlich viele Männer bzw. Frauen arbeiten, in der es entweder korrekter als üblich oder — was wahrscheinlicher ist — weniger korrekt als allgemein üblich zugeht, oder einfach die klare Abgrenzung von Arbeitsstunden schwierig ist, kann das die Statistik schon einmal ordentlich „zamhaun“, wie man so schön sagt.

Dann werden die Ergebnisse der Erhebung über einige Parameter regressiert: Die Wirtschaftstätigkeit, die Berufsgruppe, die höchste abgeschlossene Bildung, das Alter, die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, ob Vollzeit oder Teilzeit vorliegt, die Art des Arbeitsvertrags, die Unternehmensgröße und das Bundesland. Alles, was nicht durch diese Parameter erklärt wird, gilt als „unerklärter Anteil“.

Wie „unerklärt“ ist der „unerklärte Anteil“?

Dieser „unerklärte Anteil“ ist aber nicht so unerklärt.

Zum einen sind da die Erwerbsbiographien: Entscheidend ist nicht die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, sondern die ununterbrochene Erwerbstätigkeit. Arbeitslosigkeit, Sabbaticals, Karenzzeiten sind allesamt in der Folge Gehaltsdämpfer. Siehe dazu z.B. ein interessanes Paper von Jill Kearns und Ken Troske, in dem Unterbrechungen alle als ähnlich gehaltsdämpfend erkannt werden. Für Deutschland haben Dennis Gorlich und Andries de Grip geforscht, wie sich familienbedingte Erwerbsunterbrechungen auf das Gehalt auswirken, und festgestellt, dass viele Frauen eher Beschäftigungen auswählen, in denen der kurzfristige Humankapitalverlust durch eine Auszeit geringer eingeschätzt wird, während viele Männer in Berufen arbeiten, in denen längere Auszeiten und der damit verbundenen Humankapitalverlust zu empfindlichen Einkommensverlusten führen.

Entsprechend ist in US-Studien im Vergleich kinderloser, unverheirateter Frauen und Männer de facto kein „Pay Gap“ auszumachen. (In Österreich wird auf Grund der Karenzbestimmungen, die ja ein inhärentes Auszeitrisiko ausmachen, das wohl nicht ganz der Fall sein.)

Sozialleistungen und Flexiblität haben ihren Preis

Zum anderen schätzen gerade viele weibliche Beschäftigte geldwerte Zusatzleistungen des Arbeitgebers sowie erhöhte Flexiblität bei den Arbeitszeiten mehr als es bei einem großen Teil der Männer der Fall ist bzw. sein darf. So haben Eric Solberg und Theresa Laughlin — wiederum für die USA — festgestellt, dass Frauen eher in Sektoren mit großzügigeren betrieblichen Sozialleistungen arbeiten.

Eine australische Studie wiederum bekräftigt nicht nur, dass viele Frauen Gleitzeit und andere Formen selbstbestimmter flexibler Arbeit bevorzugen, sondern auch, dass sie in Berufen, in denen das möglich ist, zufriedener und karrieretechnisch erfolgreicher sind. Zudem wird Frauen Gleitzeit und ähnliche Arrangements auch viel öfter gewährt als Männern, bei denen es vergleichsweise hohe Ablehnungsraten bei Ansuchen um mehr Flexibilität gibt.

Selbstbestimmte Flexibilität hat aber wiederum einen Preis, der sich im Lohngefüge ausdrückt.

Ein Uni-Abschluss ist kein Jobticket

Kritisch möchte ich wohl noch anmerken, dass der höchste abgeschlossene Bildungsgrad heute nur ein sehr ungenügendes Instrument für das Arbeitsmarktpotential der eigenen Ausbildung ist.

Es wird wohl im einzelnen niemand verwundern, dass der durchschnittliche Politikwissenschafter in Lohn ausgedrückt weniger gefragt ist als der durchschnittliche Installateur.

Das wird durch das Gehaltsschema im Öffentlichen Dienst vernebelt, das strikt am Bildungsgrad ansetzt. Auch ist der Öffentliche Dienst für viele Akademiker weniger gefragter Fachrichtungen ein Rettungsanker. Jedenfalls ist ein Uni-Abschluss kein Jobticket. Hier sind die Sozialwissenschaften allgemein um aussagekräftigere alternative Parameter für empirische Studen gefragt.

Ein „Family Pay Gap“?

Es stellt sich aber allgemein die Frage, ob der sogenannte „Gender Pay Gap“ nicht eine rein willkürliche Größe ist. Er ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das nach der heutigen Gender Theory noch dazu ein soziales Konstrukt und frei wählbar ist, ökonomisch signifikant ist.

Doch die Sozialwissenschaften deuten darauf hin, dass die Bruchlinie vielmehr zwischen Familien und Nicht-Familien verläuft. Innerhalb der Frauen gibt es scharfe Unterschiede zwischen dem „Mommy Track“ und den Kinderlosen. Erstere treffen ganz andere Arrangements in der Aufteilung der Arbeit, insbesondere der Domestikal- und Erwerbsarbeit, haben andere Bedürfnisse am Arbeitsmarkt (Stichworte Sicherheit, Bildung und Betreuung der Kinder) als letztere, die allerdings im Alter von der Leistung der Familien mitprofitieren (Stichworte Pension, Pflege). Ein „Family Pay Gap“ wäre also vielleicht eine aussagekräftigere Statistik.

Selbstmord aus Selbstsucht?

Kann Selbstmord die Kulmination von Selbstsucht sein? Man denke an den Selbstmord in Wien, der ein Haus schwer beschädigte und durch glücklichen Zufall nur dem Täter das Leben kostete. Der junge Täter sei beschäftigungslos gewesen und hätte möglicherweise aus Liebeskummer gehandelt.

Wie ist es gerechtfertigt, nur deswegen, weil man nicht das bekommen hat, was man wollte, nicht nur sich selbst zu zerstören, sondern potientiell eine Zahl Dritter? Selbstzerstörung als Triumph der Selbstsucht?

In der Psychologie geht man heute in der Regel davon aus, dass Selbstmord Ausdruck einer psychischen Erkrankung ist. In Fällen wie Depression ist dem wohl ausdrücklich zuzustimmen, auch wenn man etwa in den Niederlanden nicht davor zurückschreckt, Behandlungskosten von Depressionspatienten durch deren „freiwillige“ Euthanasierung zu senken.

Doch es gibt auch Selbstmorde, bei denen der Täter selbst willentlich handelt, von Vorstellungen geleitet wird, die sein Handeln rechtfertigen sollen. Émile Durkheim hat in 1897 in seinem Buch „Le suicide“ versucht, Selbstmord soziologisch aufzuarbeiten. Dabei hat er die Einflüsse sozialer Integration und moralischer Vorstellungen auf Selbstmord systematisiert. Eine seiner Kategorien ist der egoistische Selbstmord, in dem ein Individuum keine Bindung an die Gesellschaft mehr verspürt, und daher einerseits keinen Halt mehr hat, andererseits auch keine Rücksicht mehr nimmt.

Dieser Typus wird in manchen liberalen Kreisen durchaus verherrlicht, die vom Grundrecht des Menschen auf Selbstmord reden und dies mit einer naiven individual-utilitaristischen Argumentation unterstützen. Jeder Mensch solle seinen persönlichen, subjektiven Nutzen maximieren; wenn er glaubt, dies durch seinen Selbstmord verwirklichen zu wollen, so sei das eben so. Keine Bindungen, keine Rücksicht mehr. Manche gehen so weit, Selbstmordprävention als ungerechtfertigen Eingriff in die Freiheit zu werten.

Doch schauen wir uns den Fall des 19jährigen an: Was wäre noch alles vor ihm gelegen? Welche Möglichkeiten hätten sich allein aus seiner Jugend noch ergeben? Welchen dauernden Verlust, welchen Schmerz hat er sich und anderen wegen vorübergehender Probleme zugemutet? Ich rede da auch von seinem Umfeld, Bekannten, Freunden, Familie.

Durkheim hat, bei allem, was an der Studie mittlerweile überholt ist, damit recht: Ein belastbares Netzwerk von Familien und Freunden, auf die man sich verlassen kann, ein moralischer Kompass, der den Wert des Lebens anzeigt, reduzieren die Gefahr einer solchen Tat deutlich. Dazu gehört freilich auch, dass man die Signale des Betroffenen versteht. Man sollte es ernst nehmen, wenn jemand Selbstmordgedanken hegt, und ihm präventiv helfen, aus dieser Verfinsterung der Seele zu entkommen. Man rettet damit möglicherweise nicht nur ein Leben.

Gary S. Becker (1930-2014)

Mit Gary S. Becker ist ein Revolutionär unter den Ökonomen gestorben, der das Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaften für viele Praktiker gewandelt hat. Seit Carl Menger ist die moderne Wirtschaftswissenschaft, insbesondere die Mikroökonomie, eine Wissenschaft vom Handeln der Menschen. Becker hat erkannt, dass der ökonomische Werkzeugkasten allgemein für sozialwissenschaftliche Fragestellungen verwendet werden kann. Nicht, weil er alleinseligmachend wäre. Doch er bringt neue Perspektiven ins Spiel und hilft, Phänomene zu erklären, bei denen andere Werkzeuge unpassend sind.

Methodischer Eklektizismus ist heute nichts aufregendes mehr. Das war einmal anders. Beckers Methode wurde anfangs von Soziologen als Imperialismus der Ökonomie denunziert, seine Analyse scheinbar irrationaler Handlungen als nutzenmaximierende, individuell (schein)rationale Aktionen mit Unverständnis aufgenommen. Das sollte sich freilich bald ändern. 1992 erhielt er schließlich sogar den Nobelpreis1.

Anwendungsfälle sind etwa Drogenmissbrauch, der auch ökonomisch analysiert werden kann — wie in seinem berühmten Paper „A Theory of Rational Addiction“ mit Kevin M. Murphy.

Oder der Einfluss des Staates auf die Familie, der z.B. auch in Gesetzen über Heirat oder Vorschriften über die Behandlung von Kindern besteht. Darin prognostiziert er im übrigen das Scheitern einfach gestrickter „kompensatorischen“ Bildungsprogrammen, mit denen Bildungsdefizite bei Kindern bestimmter Gesellschaftsschichten ausgeglichen werden sollen. Denn wenn der Staat Ressourcen (über Steuern etc.) in Anspruch nimmt und damit z.B. Schulen finanziert, reduzieren die Eltern (bzw. andere unterstützende Mitglieder des Familiennetzwerks) ihre Ausgaben, ihren Aufwand für die Bildung der Kinder. Dafür gibt es auch empirische Hinweise. Die Frage der Bildung beschäftigte ihn überhaupt sehr intensiv.

Gary S. Becker wandte sich auch der Frage zu, wie sich irrationales Verhalten und ökonomische Theorie vertragen. Durchaus interessant!

Bis zuletzt arbeitete er an der Universität von Chicago; seine entsprechende Homepage ist noch online. Die NZZ hat einen kompakten Nachruf auf Becker veröffentlicht, der auch eine kleine Einführung in seine Bedeutung darstellt. Dabei haben sie sich vielleicht an einem etwas längeren, sehr lesenswerten Artikel des Jahres 2000 der „Zeit“ bedient — Titel und Anfang ähneln sich frappant. Auf den Seiten des Nobelpreiskomitees gibt es eine Kurzbiographie zu lesen.


  1. offiziell: Preis der Schwedischen Reichsbank im Andenken an Alfred Nobel 

Wird Wirtschaftskompetenz überbewertet?

Wie wichtig ist wirtschaftspolitische Kompetenz, um die Führung eines Landes zu behalten? Oder sind andere Faktoren entscheidender? Ein Zyniker könnte antworten, bei der Performance der heimischen Politik kann wirtschaftspolitische Kompetenz einfach keine Rolle spielen. Der Realist wird allerdings feststellen, dass man sein Land noch ganz anders gegen die Wand fahren kann und der Wohlstand in unseren Breiten auch mit einer im großen und ganzen verhältnismäßig (!) kompetenten Wirtschaftspolitik zu tun hat.

Um die Frage näher zu beleuchten, entwickeln Shu Yu und Richard Jong-A-Pin in einer Arbeit ein einfaches Konzept. Politische Führer können durch Erhöhung der Wohlfahrt vieler Bürger ihr Amt sichern; durch Erhöhung der Wohlfahrt einer sie unterstützenden kleinen Gruppe; durch Unterdrückung, wobei sie sich auch dafür auf eine davon profitierende Gruppe stützen müssen.

In ihrem kleinen Modell, in dem Wirtschafts- und Repressionskompetenz mit einem Trade-off verbunden sind, bevorzugen die Gruppen, wegen deren Unterstützung die politische Führung überhaupt im Amt ist, dann jemanden mit Repressionskompetenz, wenn dieses Bündnis insgesamt eher klein ist. Effektive und gesicherte Extraktion von Renten ist dann wichtiger als die Steigerung möglicher Renten durch eine wachsende Wirtschaft.

Das geht natürlich Hand in Hand damit, dass es in Demokratien wegen der breiteren Bündnisse, die in der Regel zur Erringung der Macht notwendig sein, Wirtschaftskompetenz wichtiger ist als in Regimen, die sich auf kleinere Bündnisse stützen können bzw. müssen.

Überraschendes Ergebnis: In Demokratien ist Wirtschaftswachstum ein vergleichsweiser schwacher Indikator für fortgesetztes Regieren. In Diktaturen besteht sogar ein negativer Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Amtsdauer, allerdings gibt es einen positiven Zusammenhang, wenn man die Größe des hinter der Regierung stehenden Machtblocks berücksichtigt. Je größer die Regierungskoalition, desto eher kann man nur durch solides Wirtschaftswachstum die nötigen Mittel aufbringen, um die Unterstützer bei der Stange halten zu können.

Trotzdem bleibt als Resumée: Wirtschaftskompetenz wird überbewertet, wenn es um das andauernde politische Überleben geht.

Erben: „Familienwerte“ gegen „Chancengleichheit“?

Seinen Kindern etwas weitergeben zu wollen, sie zu unterstützen, dass ist etwas ziemlich Böses. Wer ihnen außerdem noch etwas vererben will, begeht etwas, das schon an eine schwere Straftat grenzt. Zumindest im Artikel „Reich bleiben in Österreich“ von Pirmin Fessler und Martin Schürz in der Arbeiterkammer-Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“.

Darin geißeln sie die Erbschaftsteuerpläne der SPÖ als ungerecht („können ihre Gerechtigkeitsperspektive nicht konsistent argumentieren“), weil der „leistungsfreie Vermögenszuwachs“ — sofern er nicht durch Staatstransfers erzeugt wurde — an und für sich mindestens so hoch wie übriges Einkommen zu besteuern sei. Der Verweis auf die fragwürdige Studie von Piketty und Saez zeigt, dass die Autoren aber weitaus höhere Steuersätze für angemessen halten.

Wer also jemanden etwas zu Lebzeiten oder von Todes wegen schenkt, der soll den größeren Teil davon der wohlmeinenden Politik überlassen, die bekanntlich besser weiß als man selbst, was mit dem Erwirtschafteten zu geschehen hat.

Der Vergleich der Erbschaft mit Arbeitseinkommen ist ohnehin ein Kategorienfehler, der einem Ökonomen nicht passieren sollte. Erbschaften und Schenkungen stammen ja letzten Endes aus Einkommensteilen, die angespart wurden und schon einmal versteuert wurden. Die Erträge aus diesen Vermögen werden systemrichtig besteuert, die Vermögensstämme selbst aber nicht.

Warum es aber wirklich geht, beschreibt folgender Abschnitt:

Wer Erbschaftsteuervorhaben primär unter dem Gesichtspunkt von Freibeträgen thematisiert, kann sich nur noch auf eine Schwundvariante von Gerechtigkeit beziehen — auf die Frage: „Wie viel Erbe ist gerecht?“ Doch dies unterstelt, das Erben an sich gerecht ist, exzessive Erbschaften aber einen gesellschaftlichen Beitrag leisten sollen. […] So wie individueller Nutzen innerfamiliär mit einem familiären Ausgleich (zwischen Geschwistern) kollidieren kann, kollidiert auch familiärer Nutzen mit gesellschatlichen Gleichheitsvorstellungen. […] Die Idee, dass die Kinder es einmal besser haben sollen, basiert eben auf Familienwerten und muss daher in einem Spannungsverhältnis zu gesellschaftlichen Überlegungen von Chancengleichheit stehen.

Provokant gefragt: Wozu sollen Menschen Kinder in die Welt setzen, deren Förderung und Unterstützung ihnen offenbar ideologisch strikt untersagt ist? Denen sie sich wohl nicht einmal liebevoll zuwenden dürfen, denn das könnte bereits eine Bevorzugung gegenüber jeden Kindern sein, die ohne diese Zuwendung aufwachsen? Allein der Gedanke, dass es die eigenen Kinder einmal gut haben sollen, wird unter dem Primat der „Chancengleichheit“ bereits zum Sakrileg.

Die Angst der erwachsenen Einzelkinder?

„Der Druck, den junge Menschen heute verspüren, wenn sie an Kinder denken, die sie noch gar nicht haben, ruht entweder auf Absurditäten wie diesen oder auf Missverständnissen, die sich aus ihnen ergeben“, meint Stefan Schulz in der FAZ, und ruft zu einem entspannteren Zugang zur Familiengründung auf.

Schulz überspitzt in seinem Essay, doch er trifft einen Punkt. Zur mangelnden Wertschätzung von Familien auf der Seiten gehören zum Teil völlig überspannte Vorstellungen davon, was Eltern leisten sollen. Diese Vorstellungen werden allerdings in Zeitschriften, Filmen und Essays munter transportiert und lassen viele vor Versagensangst bereits im Anlauf scheitern.

Das ist übrigens einer der Gründe, warum einem nur zu raten ist, einem Einzelkind ein zweites folgen zu lassen. Schulz beschreibt so schön, wie Eltern in der Regel vernünftiger und erdverbundener werden, wenn die Kinder einmal heranwachsen. Das setzt sich dann mit einem vielfach beobachteten entspannteren Zugang beim zweiten, dritten etc. Kind fort. Michael Prüller, achtfacher Vater und Pressesprecher der Erzdiözese Wien, könnte dazu einiges beitragen.

Dazu passt auch gleich eine Meldung im ORF, dass Einzelkinder häufiger kinderlos bleiben und mit Ehe und Familie weniger anfangen können. Das Letztere wird mit „liberale Einstellung“ umschrieben. Natürlich — aber das gilt ja eigentlich immer — trifft die Tendenz nicht auf alle Personen zu. Diese Tendenz selbst verwundert aber wenig. Umso mehr Kinder in der Familie, umso geringer sind die vorhandenen Ressourcen pro Person, doch umso größer und vielfältiger sind die familiären Bindungen, die von Einzelkindern mit kleiner Verwandtschaft so nicht erlebt und daher auch nicht geschätzt werden. Das wird auch in der vom ORF zitierten Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung beschrieben.

Da stellt sich ein wenig die Frage, ob die hohen Ansprüche, die von außen und innen an präsumptive Eltern gestellt werden, nicht auch mit den zahlreichen Einzelkindern zusammenhängen, die ja selbst in der Regel eine besonders intensive Zuwendung erlebt haben.