Das eine Schwangerschaft etwa neun Monate dauert, das war schon in der Antike gesichertes Wissen. Und so feiern wir neun Monate vor Weihnachten am 25. März das Fest der Verkündigung des Herrn, oder Mariä Verkündigung. Ähnliche Dopplungen gibt es für Maria (Unbefleckte Empfängnis Mariens am 8. Dezember) und in der Ostkirche für Johannes den Täufer (24. September).
Das Thema dieses Festes hat die Kunst schon seit Jahrhunderten beflügelt. Es ist ja auch eine unerhörte Begebenheit: Zur jungen, unverheirateten Maria kommt plötzlich jemand, erzählt ihr von ihrer besonderen Rolle in Gottes Heilsplan, verkündet ihr einen Sohn, der „über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen“ wird. Obwohl sie doch noch Jungfrau war! Das klingt einmal sehr befremdlich. Sie aber sagt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Dieser Gehorsam, dieses Hören und Vertrauen auf Gott, hat Maria über die Jahrhunderte zum Vorbild für viele werden lassen.
Die Verkündigung geschieht teilweise in Gedichtform; dieses besteht aus 4×2 und 2×3 Zeilen, insgesamt als 14, die von Lukas kunstvoll als 1+(1+6)+6 in die Erzählung eingeflochten werden, und zusammen mit dem Magnificat, dem Benedictus und dem Nunc dimittis ein Beweis der hohen literarischen Qualität des Textes und der tiefen Verwurzelung Lukas’ in der jüdischen Tradition ist. Dabei verwendet der Evangelist Parallelismen, wie sie für biblische Dichtung, wie etwa in den Psalmen, üblich sind, und durch die sich die Rede des Engels und auch Mariens vom erzählenden Text abhebt.
χαῖρε, κεχαριτωμένη, / ὁ κύριος μετὰ σοῦ […]
μὴ φοβοῦ, Μαριάμ, / εὗρες γὰρ χάριν παρὰ τῷ θεῷ.
καὶ ἰδοὺ συλλήμψῃ ἐν γαστρὶ / καὶ τέξῃ υἱὸν
καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ / Ἰησοῦν.
οὗτος ἔσται μέγας / καὶ υἱὸς ὑψίστου κληθήσεται
καὶ δώσει αὐτῷ κύριος ὁ θεὸς / τὸν θρόνον Δαυὶδ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ,
καὶ βασιλεύσει ἐπὶ τὸν οἶκον Ἰακὼβ / εἰς τοὺς αἰῶνας
καὶ τῆς βασιλείας αὐτοῦ / οὐκ ἔσται τέλος. […]
πνεῦμα ἅγιον / ἐπελεύσεται ἐπὶ σὲ
καὶ δύναμις ὑψίστου / ἐπισκιάσει σοι·
διὸ καὶ τὸ γεννώμενον / ἅγιον κληθήσεται υἱὸς θεοῦ.
καὶ ἰδοὺ Ἐλισάβετ ἡ συγγενίς σου / καὶ αὐτὴ συνείληφεν υἱὸν ἐν γήρει αὐτῆς
καὶ οὗτος μὴν ἕκτος ἐστὶν / αὐτῇ τῇ καλουμένῃ στείρᾳ·
ὅτι οὐκ ἀδυνατήσει / παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆμα.
Freue dich, Begnadete, / der Herr ist mit dir. […]
Fürchte dich nicht, Maria; / denn du hast bei Gott Gnade gefunden.
Siehe, du wirst empfangen /und einen Sohn gebären:
dem sollst du den Namen geben: / Jesus.
Er wird groß sein / und Sohn des Allerhöchsten genannt werden,
Und Gott, der Herr, wird ihm / den Thron seines Vaters David geben.
Er wird über das Haus Jakob herrschen / in Ewigkeit,
und seines Reiches / wird kein Ende sein. […]
Heiliger Geist / wird über dich kommen,
und Kraft des Allerhöchsten / wird dich überschatten.
Darum wird auch das Kind, das geboren wird, / heilig und Sohn Gottes genannt werden.
Siehe, auch Elisabeth, deine Verwandte, / hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen,
und sie, die als unfruchtbar galt, / ist schon im sechsten Monat.
Denn bei Gott / ist kein Ding unmöglich.
Beispielsweise grüßt der Engel Maria in einer Dopplung, denn der Nachsatz verdeutlicht nur, das sie „voll der Gnade“ ist. Im zitierten Text — griechisch bei bibelwissenschaft.de zu finden — wird dies noch deutlicher, siehe z.B. den Parallelismus am Schluß der Rede, in der im griechischen Text zwei Mal ein Wort mit dem Stamm βασιλ- steht, und beide Sätze mit Bezeichungen für die Ewigkeit enden, oder in der Doppelzeile davor, in der der Satzteil „Sohn des Allerhöchsten“ mit „Thron seines Vaters David“ übereinstimmt und die Abstammung Jesu aus dem Hause David sowie von Gott selbst her hervorhebt. Die Zeile, in der Jesu Name genannt wird, war möglicherweise so konzipiert, dass der Name für sich allein nach einer Zäsur vorgelesen würde und so mehr Gewicht erhält.
Die Schlußzeile endet im Original mit dem Wort „ῥῆμα“, das heißt: „Wort“ oder „Sprechakt“. Kein Wort Gottes ist ohne Kraft, so heißt es wörtlich. Das ist nicht nur ein Programm für die Verkündigung, sondern auch ein Programm für das Evangelium selbst!
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