Eurozone: Wenn Abwanderung eine Währungsunion sprengen kann

Eine der Kritikpunkte an der Eurozone war von Beginn an, dass sie kein optimaler Währungsraum sei. Dieser Begriff wurde 1961 von Robert Mundell geprägt — in einer im System von Bretton-Woods weitgehend akademischen Diskussion, ob ein System mit flexiblen Wechselkurse überhaupt effektiv und effizient anwendbar ist. Wenige Jahre später waren die „akademischen Diskussionen“ plötzlich hochrelevant geworden!

Mundell und seine Nachfolger stellten die These auf, dass in einem optimalen Währungsraum die Kapital- und die Arbeitsmobilität hoch sein sollten, um asymmetrische Schocks, also wirtschaftliche Ereignisse, die regional unterschiedlich wirken, auszugleichen. So kann etwa ein Einbruch der Ölindustrie in Schottland nicht durch eine Abwertung des Pfunds ausgeglichen werden, die ganz Großbritannien treffen würde. Auch kann nicht die Ostküste Schottlands mit der Ölindustrie für sich abwerten. Aber durch eine „innere Abwertung“, durch Abwanderung von Arbeitnehmern und Kapital kann wiederum ein interner Ausgleich erfolgen. Nur dort, wo so ein Ausgleich möglich ist, sollte ein Währungsraum gebildet werden.

Nun ist die Mobilität in der Eurozone schon wegen der Sprachbarrieren nicht so hoch wie etwa in den USA. Aber Mobilität hat auch ihre Schattenseiten: Sie höhlt z.B. die generationenübergreifende Solidarität aus — und die Steuerbasis, und damit die Reaktionskraft regionaler Regierungen.

Mobile Arbeitnehmer: Eine Gefahr für den Währungsraum?

Hier setzen Angelo Baglioni, Andrea Boitani und Massimo Bordignon an, die im FinanzArchiv einen Artikel über „Labour Mobility and Fiscal Policy in a Currency Union“ publiziert haben. Eine Vorversion kann man bei CESifo lesen.

Sie skizzieren so eine Art Teufelskreis, der bei starker Mobilität entstehen kann: Bei einer Krise, die regional besonders stark wirkt, könnte die regionale Regierung zumindest stabilisierend eingreifen. Da aber jeder weiß, dass in der Krise die Steuerbasis wegbrechen kann, ist auch die Regierung nicht mehr in der Lage, die Mittel aufzunehmen, um die Effekte der Krise zu dämpfen. Dadurch werden die Auswirkungen der Krise noch größer.

Dagegen hülfe nun entweder eine Koordination der regionalen Regierungen oder eine Zentralisierung von Budgetkompetenzen im Währungsraum. Oder aber eine geringere Mobilität der Arbeitskräfte, wie es bei einer regionalen Bewältigung asymmetrischer Krisen von Vorteil wäre.

Eine Theorie im Praxistest

Das ist alles nicht bloß Theorie. So leiden Griechenland und Portugal an massiven Auswanderungsströmen junger Fachkräfte. Dadurch wird es für beide Länder noch schwieriger, ihre finanzielle und wirtschaftliche Lage zu stabilisieren. Bei „perfekter Mobilität“ wäre die ohnehin schon prekäre Situation der beiden Länder wohl gänzlich hoffnungslos, da sie schon auf Grund der Alterspyramide große Zahlungsverpflichtungen bei rasch schrumpfenden Einnahmen verzeichnen würden.

Ein Fazit: Umso stärker die Mobilität, umso mehr „Vergemeinschaftung“ der Budgets wird auf die eine oder andere Weise folgen.

Die EZB als Schirmherrin der Eurozonen-Krise?

Die Erholung der US-Wirtschaft nach der Krise war nach Ansicht vieler US-Bürger viel zu schwach und zu wenig spürbar. Die Arbeitslosenzahlen geben ihnen indirekt recht: Zwar ist die US-Arbeitslosenquote gesunken, doch haben auch viele Menschen mangels Aussicht die Suche nach einem Job gänzlich eingestellt und gelten daher nicht technisch gesehen nicht mehr als arbeitslos.

Doch bei all dem darf man eines nicht vergessen: Der Eurozone geht es noch viel schlechter. Das kann man in untenstehender Graphik gut erkennen, die die prozentuelle Veränderung des realen Wirtschaftsleistung für die USA (rot) und die Eurozone (blau) im Jahresabstand anzeigt. Die Eurozone wurde von der Rezession 2008/2009 schlimmer erwischt, ist 2012 in die nächste Rezession gerutscht und wird nach allen Anzeichen bald den nächsten wirtschaftlichen Absturz hinlegen. Man spricht schon von der „triple dip recession“.

Mit der größeren Sparsamkeit der Staatskassen der Eurozone kann man das nicht erklären. Seit 2009 befinden sich die Ausgaben der Staatssektoren (also einschl. Regional- und Lokalverwaltungen) in den USA und der Eurozone insgesamt in einer Seitwärtsbewegung, die real sogar einen Rückgang bedeutet. Dabei fällt aber der reale Rückgang der Euro-Staatsausgaben geringer aus.

Der entscheidende Unterschied zwischen der Eurozone und den USA ist aber die Geldpolitik. Die Federal Reserve hat — zuerst zögerlich, dann aber doch — versucht, den Nachfrageausfall des Staats und die Funktionsprobleme des Bankensektors durch eine großzügigere Geldpolitik abzufedern. Dabei haben sie nicht viel mehr getan, als eine Deflation abzuwenden — die US-Inflationsrate wäre durchaus EZB-tauglich.

Die EZB hat stattdessen in den letzten Jahren gegen ihr eigenes Mandat der Preisstabilität verstoßen, in dem sie Inflationsraten unter ihrem zielband zugelassen hat. Damit hat sie die Anpassungsprozesse der Realwirtschaft zusätzlich erschwert. Darauf, dass die neue Bankenregulierung der EU die üblichen Transmissionsriemen der Geldpolitik beschädigt hat, reagierte die EZB nur zögerlich. Man kann es Mario Draghi & Co freilich nicht übelnehmen: Sie werden ja schon jetzt heftig attackiert, obwohl die angeblich so lockere Geldpolitik der EZB die Inflationsrate nicht einmal in die Nähe der anvisierten 2% gebracht hat.

US-Ökonom Scott Sumner listet die zwei besonderen Sünden der EZB auf:

[…;] die Eurozone war im Juli 2008 schon in einer Rezession, und die Zinsen der Eurozone waren relativ hoch, und dann erhöhte die EZB sie noch weiter. […] Und dann tun sie es drei Jahre später wieder. Die Zinssätze waren schon über der Nullgrenze im Frühjahr 2011, und dann erhöhte sie die EZB wieder. Zweimal. […] Währenddessen verhalten sich Wirtschaftswissenschafter wie Inspektor Clouseau, suchen nach Wegen, wie eine Staatsschuldenkrise die zweite Rezession verursacht haben könnte, wiewohl nach 2011 die USA viel größere Staatsausgabenkürzungen vornahmen als die Eurozone.

Sumners Eintrag ist grundsätzlich lesenswert, auch wenn sein Vertrauen in die Macht der Geldpolitik vielleicht zu groß ist.

Draghi steht freilich vor folgendem Problem: Da die EZB in der Frühphase der Rezession sehr restriktiv agiert hat und die Wirtschaft bewusst abgewürgt hat, um der eigenen Glaubwürdigkeit wegen angeblich dräuende Inflationsrisken zu bekämpfen, muss sie nun die Schleusen umso mehr öffnen, um genügend Liquidität in die ausgetrockete Wirtschaft fließen zu lassen. Man braucht sich nur die Kurve der Wachstumsraten der Geldmenge M3 ansehen, um zu bemerken, dass die EZB in praxi bislang immer noch zurückhaltend agiert.

Die Geldfalken liegen daneben: Deflation ist für Spanien kein Rezept

Inflation mag irgendwie fast niemand. Und wäre es nicht sogar toll, wenn das Geld immer mehr wert würde? Und doch wird die Deflation, also die negative Inflation in einigen Ländern der Eurozone von der EZB als großes Problem gesehen. Für Anhänger einer Hartwährungspolitik, klassische Liberale etc. ist diese Position oft unverständlich, wie man z.B. an Hand zwei Links des österreichischen Journalisten Christian Ortner (hier zur NZZ und hier zum Ludwig von Mises-Institut) nachlesen kann.

Nun sind sinkende Preise kein Problem, wenn sie nicht mit sinkenden Einkommen einhergehen, sondern Ausdruck gestiegener Produktivität sind, wie George Selgin schon vor längerer Zeit argumentiert hat. Er plädiert dabei für eine „Produktivitätsnorm“ der Geldpolitik, die seiner Meinung nach Parallelen mit dem Nominaleinkommen als geldpolitischem Ziel aufweisen würde.

Doch in Spanien und Griechenland ist die Situation eine andere:

  • Die sinkenden oder stagnierenden Preise sind Ausdruck kollabierender Nominaleinkommen. In beiden Ländern sind nicht nur der Staat, sondern auch die privaten Haushalte verschuldet, und können auf Grund dieser sinkenden Einkommen ihre Schulden auch immer schwerer bedienen, deren Konditionen ja unter anderen inflationären Bedingungen vereinbart wurden.
  • Dann schlägt auch noch der gemeinsame Währungsraum zu, der zwar zu keiner homogenen Zinslandschaft, aber zumindest zu vergleichbaren Zinsen mit gemeinsamer Basis geführt hat. Daher — siehe die Fisher-Gleichung — bedeutet das große Inflationsdifferential zwischen Spanien und etwa Österreich, dass die Realzinsen in Spanien deutlich höher sind. Kreditfinanzierte Investitionen sind schon wegen der unsicheren Wirtschaftslage eher unwahrscheinlich; die Zinssituation benachteiligt die Investitionen ebenfalls.
  • Der Wert des Geldes ist im Endeffekt Vertrauenssache (egal ob Gold, Silber oder Papier); Geldpolitik funktioniert daher sehr stark über Erwartungskanäle. Die EZB hatte jahrelang eine Inflationsrate von 2% als ihr Ziel vorgegeben und kommuniziert, so dass auch viele Verträge eine solche Inflation eingepreist haben. Nicht nur für Spanien hat die EZB dieses Ziel aber seit Jänner 2013 verfehlt. Momentan wird der Harmonisierte Verbraucherpreisindex für Dezember 2013 mit 0,8% angegeben. Das relativiert auch alle Behauptungen, die EZB flute den Markt mit Geld. Vielmehr stützt sie hauptsächlich die Banken durch Liquidität, die in der Doppelmühle strengerer Vorschriften der Bankenaufsicht bezüglich Eigenkapital einerseits und Bilanzbereinigung wegen der Krise andererseits gefangen sind. Dieses Geld kommt aber am Markt auf Grund der drastisch gesunkenen Geldschöpfung der Banken gar nicht an. Übers Jahr sind die Kredite an private Haushalte in der Eurozone 2013 um 2,3% zurückgegangen, es findet eine Verschiebung weg von langfristigen Anlagen hin zu Bargeld und Sichteinlagen statt.

Das ändert nichts daran, dass Österreichs Inflationsrate hausgemacht 1,2 Prozentpunkte über der europäischen lag — und das aus verschiedenen Gründen nicht zu begrüßen ist. Aber dazu vielleicht ein andermal.

Ein Inflations- und ein Zinsziel sind ein und dasselbe

Die EZB verfolgt das Ziel einer stabilen Inflationsrate von knapp unter 2% — und zu den wesentlichen Mitteln der Notenbank gehört dabei die Zinssatzpolitik. Damit ist die EZB in bester Gesellschaft: Eine auf ein Inflationsziel gerichtete Geldpolitik ist momentan Standard, Zinsänderungen das Mittel der Wahl.

Wenn man sich der Fischer-Gleichung bedient — Realzins = Nominalzins – Inflation –, so scheint aber ein Inflationsziel in gewisser Weise auf ein Zinsziel hinauszulaufen. Geld als Zahlungsmittel hat in der Regel einen Nominalzins von 0 (Bargeld) oder nahe 0 (täglich verfügbares Geld). Dann ist der Realzins darauf nichts anderes als die Inflation mit negativem Vorzeichen.

Nun steht die Zentralbank aber vor zwei Problemen:

  1. Der Zins ist Signalträger für ganz verschiedene Phänomene: Risikoannahmen, Wachstumsaussichten, Angebot und Nachfrage leihbarer Mittel, Zeitpräferenzen, Inflationserwartungen … . Mit ihrer Zinspolitik vernebelt die Zentralbank dieses Signal und verzerrt damit die Realwirtschaft.
  2. Die Zinsstruktur selbst ist veränderlich und wirkt wiederum über Rückkopplung auf das Inflationsziel der Zentralbank. Vor Quantitative Easing hatten die Zentralbanken kaum Mittel, um diese Zinsstruktur direkt zu beeinflussen. Wenn die Zentralbank nun diese Struktur beeinflussen kann, verstärkt sie wiederum nur das Problem in Nr. 1.

Der kanadische Ökonom Nick Row überlegt in zwei Posts nun laut, ob das Inflationsziel — oder Realzinsziel — der Notenbank nicht hauptverantwortlich für die große Bedeutung der Finanzwirtschaft in makroökonomischen Krisen sei. Denn die Notenbankpolitik könne auch als Zinsdifferentialpolitik dargestellt werden; und bei einem Zinsdifferentialschock (Finanzkrise) gerate daher die ganze Geldpolitik und in der Folge die Realwirtschaft in Unordnung.

Ob sein Rezept eines anderen geldpolitischen Zieles — der Summe aus Wirtschafts- und Preisniveauwachstum — dagegen hilft? Denn im Grunde geht es um die simple Tatsache: Wenn die Notenbank irgendeinen Wert anvisiert, irgendetwas als Wertanker verwendet, so können Schocks auf diesen Wertanker zu Verwerfungen führen. Ein Auseinanderklaffen von Realwirtschaft und Edelmetall hat im 16. Jahrhundert die spanische Wirtschaft in Inflation gestürzt, im frühen 20. Jahrhundert Deflation hervorgerufen. Ein Anvisieren eines stabilen Geldmengenwachstums hat zu Spannungen zwischen doch vorhandenem Preis- und Mengenziel geführt. Das Inflations- bzw. Realzinsziel scheint die Rückkopplung von Finanzkrisen in die Realwirtschaft zu begünstigen. Doch ohne Wertanker geht es eben nicht, selbst wenn er bloß implizit wäre. Sonst ist Geld eben wertlos.

Deflationsgefahr in der Eurozone?

Im deutschsprachigen Raum, soweit er sich mit der Eurozone überschneidet, überwiegt in der Bevölkerung die Angst, dass die Geldpolitik der EZB zu einer enormen Geldentwertung führen könnte. Das ist nach den Erfahrungen der Vergangenheit, von der Hyperinflation der Zwanziger Jahre zum Wertverlust der Vierziger Jahre bis zur Staglation der Siebziger Jahre verständlich. Doch die Realität scheint eine andere zu sein, wie man etwa dem Deflationsmonitor der Danske Bank, der größten Bank Dänemarks, glauben darf.

Dieser Index ist ein gewichteter Durchschnitt verschiedener Inflationsmaße, wie sie von Eurostat berechnet werden, des Geschäftsklimaindexes PMI, der Veränderung der Lücke zwischen tatsächlichem und potentiellen BIP, der Lücke zwischen tatsächlicher und inflationsneutraler Arbeitslosenrate und des Lohnwachstums. Nur für Deutschland wird weist der Index auf Inflationsrisken hin, während er für Griechenland und Spanien hohe Deflationsrisken sieht.  Frankreich, Portugal, Irland und Italien weisen ebenfalls hohe Indexwerte auf.

Danske Bank: Deflation Index

Danske Bank: Deflation Index

Eine Deflation muss nicht immer schlecht sein: Wenn sie auf Produktivitätszuwächsen beruht, sei es durch technologische Verbesserungen oder organisatorische, wegen denen die Gesamtproduktion steigt und daher bei gleichbleibender Geldmenge die Preise fallen, kann sie auch positiv gesehen werden, wie George Selgin argumentiert. Doch in der Eurozone ist davon keine Rede, eher die Gefahr der negativen Deflation vorhanden, die über eine Spirale von sinkender Nachfrage, schrumpfender Beschäftigung, weiterer Verschiebung von Konsum und Investitionen den betroffenen Ländern eher düstere Zukunftsaussichten beschert.

über Egghat

Die EZB dreht den Geldhahn auf. Gut so.

Was die EZB heute getan hat, war ein längst überfälliger Schritt:

  1. Der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems wird um 25 Basispunkte auf 0,25 % gesenkt. Dies gilt erstmals für das am 13. November 2013 abzuwickelnde Geschäft.
  2. Der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität wird mit Wirkung vom 13. November 2013 um 25 Basispunkte auf 0,75 % gesenkt.
  3. Der Zinssatz für die Einlagefazilität wird unverändert bei 0,00 % belassen.

Warum? Im September wies der Harmonisierte Verbraucherpreisindex eine Inflationsrate von 1,1% aus; das ist deutlich unter dem EZB-Zielwert von 2% oder knapp darunter, bei dem die EZB die Inflationserwartungen verankern will und wie es auch ihr gesetzlicher Auftrag ist. Dazu tragen besonders Spanien, Portugal, Italien, Irland und Griechenland bei. Letzteres hat sogar eine Deflation von -1,0% ausgewiesen. Aber selbst in Deutschland beträgt die Inflation derzeit nur 1,6%; das wäre selbst zu Bundesbankzeiten ein sehr niedriger Wert gewesen. Im Oktober wird die Inflation der Eurozone wahrscheinlich noch niedriger gewesen sein, wie Mario Draghi in der Pressekonferenz der EZB bemerkt hat.

Mark Schieritz, mit dem ich zwar wirtschaftspolitisch nicht so oft übereinstimme, bringt es auf den Punkt:

Schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, musste die EZB die Zinsen daher noch einmal senken. Das hilft der Wirtschaft, weil unter anderem die Aufwertung des Euro gedämpft würde. Die Stärke der Währung macht derzeit vor allem den Exporteuren im Süden ihr Geschäft kaputt.

Der ökonomisch simpelste Grund, warum eine so niedrige Inflation keine gute Idee ist: Geldpolitik soll so verlässlich und stabil sein, dass sie quasi unsichtbar wird. Das heißt: Stabile Inflationsraten, auf die man sich bei seinen Planungen verlassen kann. Ein anderer: Geld ist auch das Schmiermittel der Wirtschaft.  Ein wenig Inflation ermöglicht Anpassungen von Preis- und Lohnrelationen, ohne nominelle Kürzungen vornehmen zu müssen, die wir dank Geldwertillusion gar nicht mögen. Aber auch aus ganz praktischen Gründen: Schulden und Einkommen werden in der Regel in nominellen Geldeinheiten bemessen. Eine Kürzung des nominellen Einkommens erhöht die reale Last der Schulden, was weder Schuldner noch Gläubiger recht sein kann. (Warum eine hohe Inflation ebenfalls schlecht ist, brauche ich wohl nicht zu erläutern.)

Die wirtschaftliche Lage der Eurozone ist in Wahrheit außerdem immer noch desaströs. Dazu hat nebenbei bemerkt die Bankenpolitik der EU beigetragen. Mit einer Unzahl neuer Regulierungen und stark verschärfter Eigenkapitalvorschriften wurden die Banken gleichsam gezwungen, ihre Kreditvergabe drastisch zu reduzieren. Kritiker argwöhnen, dass gerade das normale Bankengeschäft zureguliert würde, obwohl es mit der Bankenkrise wenig zu tun habe; und die neuen, umfangreichen Regulierungen ein Wettbewerbsvorteil der Großen seien, die sich die Compliance eher leisten können – daher würde  „too big to fail“ geradezu Vorschub geleistet. Wie dem auch sei: Die geldpolitische Transmission hat eine Menge Sand ins Getriebe bekommen. Anders gesagt: Die EZB muss die Geldbasis viel mehr ausweiten als früher, um bei der Gesamtgeldmenge den gleichen Effekt zu erzielen. Das zeigt auch die lahme Entwicklung der Geldmenge M3, bei der die unorthodoxe Geldpolitik der EZB praktisch keine Spuren hinterlassen hat.

Will die Geldpolitik zumindest nicht kontraktiv wirken, musste die EZB daher handeln.

Janet Yellen: Eine gute Wahl

Die Diskussion um die Nachbesetzung des US-Notenbankchefs war im August/September zur Posse geraten, in der Obamas eigentlicher, aber unausgesprochener Kandidat Lawrence Summers schließlich sogar öffentlich bekunden musste, das Amt nicht anzustreben. Nicht wegen widerspenstiger Republikaner, sondern wegen noch viel widerspenstigerer Demokraten. Die haben sich nun  durchgesetzt. Nach angemessener Frist hat Obama die amtierende Vizevorsitzende der Federal Reserve, Janet Yellen, als Nachfolgerin von Ben Bernanke vorgeschlagen.

Die 67jährige Ökonomin und Notenbankerin steht dabei für Kontinuität und Erfahrung, beides Eigenschaften, die in der jetzigen Situation gebraucht werden können. Nachdem Präsident und Kongress schon bei der Fiskalpolitik das Land in unnötige Unsicherheit stürzen und die Wirtschaft und das Wohlergehen ihrer Bürger schädigen, sollte wenigstens die Geldpolitik ein Stabilitätsanker sein. Entscheidender Widerstand der Republikaner ist nicht zu erwarten: Zwar sind viele kritisch, weil Yellen etwas zu Unrecht mit „loser Geldpolitik“ verbunden wird, doch wird sie etwa vom American Enterprise Institute als relativ vernünftige Wahl angesichts der Möglichkeiten gesehen.

Yellen, übrigens mit Nobelpreisträger George Akerlof verheiratet, hatte einen anderen Nobelpreisträger, James Tobin, als Doktorvater. Nach dem Doktorat in Yale arbeitete sie in Harvard, begann aber bereits 1977 erstmals als Ökonomin für die Federal Reserve zu arbeiten. Ihre zahlreichen Stationen in Lehre, Politik und Notenbankarbeit führten sie z.B. 1994 in den Gouverneursrat der Fed, 1997 in die Position der obersten Wirtschaftsberaterin von US-Präsident Bill Clinton. 2004 bis 2010 war sie Präsidentin der Federal Reserve Bank in San Francisco, eine der zwölf Regionalbanken des US-Notenbanksystems, bevor sie Ben Bernankes Stellvertreterin wurde.

Viele US-Ökonomen stehen ihrer Nominierung sehr positiv gegenüber, wie das Wall Street Journal berichtet. Justin Wolfers bringt es da auf den Punkt: „Yellen ist ganz einfach besser für den Job qualifiziert als jeder ihrer Vorgänger.“ John Taylor, bekannt durch die Taylor-Regel, schätzt sie, weil sie die Fed stärker regelbasiert – d.h. berechenbar und verlässlich – führen will. Das wird die Aufregung auf den Märkten reduzieren. Die Fed hat aber gesetzlich einen doppelten Auftrag – Beschäftigung und Währungsstabilität –, und Yellen wird wie schon Bernanke diesem Beschäftigungsaspekt mehr Bedeutung beimessen, als es die EZB darf und will.