Alois Mock

Alois Mock (2005). Quelle: Thomas Steiner via Wikimedia Commons

Alois Mock (2005). Quelle: Thomas Steiner via Wikimedia Commons

Alois Mock war ein Angehöriger einer seltenen Spezies in der modernen Politik: Ein Mensch mit politischen Idealen und Überzeugungen, die er konsequent vertreten hat. Gleichzeitig aber mit der typisch konservativen Mäßigung, die einen davor bewahrt, beim Bohren der harten Bretter in der Politik verbohrt zu werden. Sein Ausscheiden aus der Politik hat eine schmerzhafte Lücke hinterlassen, die durch seinen Tod nun noch einmal bewußt wird.

Der überzeugte Christdemokrat legte früh eine Bilderbuchkarriere hin, mit Studienaufenthalten in Bologna und Brüssel und verschiedenen beruflichen Stationen, die ihn schließlich 1966 zum Kabinettschef des Bundeskanzlers werden ließen. Mit knapp 35 wurde er zum jüngsten Unterrichtsminister Österreich und hinterließ in seiner kurzen Amtszeit bereits deutliche Spuren, wie etwa die „entscheidenden Schritte“ zur Gründung der Universität Klagenfurt, wie Helmut Wohnout schreibt.

Im gleichen Text nennt Wohnout einen Visionär, und das mit Fug und Recht. Jahrzehntelang betrieb Alois Mock die Integration Österreichs in Europa, die schon bei einer seiner ersten politischen Tätigkeiten sein Aufgabengebiet war. Rasch erkannte er die Chancen, die sich aus dem Fall des Eisernen Vorhangs ergaben. Ebenso die Möglichkeiten, die der europäische Einigungsprozess den Ländern Mitteleuropas bieten konnte. Und die Gefahren, wenn es nicht gelingen würde, denjenigen mitteleuropäischen Ländern, die unter dem Kommunismus gelitten hatten, eine gute Zukunftsperspektive zu bieten.

Als Europapolitiker weithin geachtet, wird oft der Sozialpolitiker vergessen, der viele sozialrechtliche und familienpolitische Verbesserungen selbst aus der Opposition heraus erreichen konnte. Aber auch der Wirtschaftspolitiker, dem bewußt war, dass ohne ein solides wirtschaftliches Fundament und ohne freies Unternehmertum kein Sozialstaat zu machen ist.

Hätte er sich übrigens 1986 mit seinem Wunsch einer schwarz-blauen Koalition durchgesetzt, wäre Österreich wohl die massive Erosion der Großparteien in dieser Form erspart geblieben und der Aufstieg von FPÖ und Grünen gedämpfter ausgefallen. Sein Traum einer europäischen Integration Mitteleuropas wäre dann aber wohl an der Blockade durch die SPÖ gescheitert — Mock hat mit den Karten, die ihm politisch ausgeteilt wurden, für das Land gut gespielt.

Ist Religion Privatsache?

Den Spruch „Religion ist Privatsache“ haben viele Menschen schon so sehr verinnerlicht, dass selbst sehr religiöse Menschen akute kognitive Dissonanz erleiden, wenn er in Frage gestellt wird. Diese Verinnerlichung mag uns auch einige Konflikte erspart haben. Sie ist dennoch in der landläufigen Bedeutung falsch.

Religion ist genauso Privatsache wie eine politische Überzeugung, oder ein Plan, ein Haus zu bauen, und hört genauso dabei auf, reine Privatsache zu sein, wo sie andere Menschen beeinflusst. Durch den Wahlakt oder weitergehendes politisches Engagement wird politische Gesinnung zum Gegenstand öffentlichen Diskurses. Durch den Antrag auf Baubewilligung wird aus dem Plan ein Vorhaben, das in das Leben vieler Mitmenschen eingreift und in die öffentliche Sphäre eintritt. Sonst bräuchten wir auch keine Bauordnung.

Religion, ob transzendental oder säkular, schafft Grundlagen der Welteinordnung und bietet Leitschienen für das eigene Handeln. Es hat daher auch für andere Menschen eine Bedeutung, welche Religionen in einer Gemeinschaft vorherrschen und die allgemeine Ordnung prägen.

Es hat z.B. für die Inhalte der Sozialgesetzgebung Konsequenzen, ob man

  1. an einen mythischen Klassenkampf glaubt, der nach einem eisernen Gesetz der Geschichte abläuft;
  2. oder daran, dass alles Gute und Schlechte, das einem widerfährt, im Grunde selbstverschuldet ist, d.h. auf das Karma zurückzuführen ist;
  3. oder jeder Mensch auf Grund der durch Gottes Ebenbildlichkeit verliehenen Würde den Nächsten lieben soll wie sich selbst,
  4. oder jeder Mensch eine rationale, autonome Person ist, deren höchstes Gut die absolut freie Entfaltung ist, die aber daher auch die volle Verantwortung für ihr Tun und Lassen trägt.

Welchen Religionen, welchen Wertvorstellungen die Menschen in einem Gemeinwesen anhängen, hat somit Folgen, die weit über das Private hinausgehen. Und so, wie ich nicht jede politische Richtung gleich wertschätzen kann, so ist sogar notwendig, nicht jede Religion gleich wertzuschätzen. (Ein Dialektiker kriegt die Bewältigung der auftretenden Widersprüche vielleicht trotzdem hin …)

Den drohenden Konflikt der unterschiedlichen Einstellungen und Ansprüche kann man durch echte Toleranz lösen, die Bereitschaft zur Duldung einem widerstrebender Äußerungen und Ansichten, und das demütige Offenhalten der Möglichkeit, persönlich selbst im Irrtum zu sein. Freilich sind auch das keine Haltungen, die voraussetzungslos existieren können, und mit der bestimmte Anschauungen einfach inkompatibel sind.

Charlie Hebdo: Lassen wir die Terroristen ihr Ziel erreichen?

Es ist einfach grauslich, wie viele den Angriff auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdomadaire“ implizit rechtfertigen. Die Mohammed-Karikaturen seien ja oft recht derb gewesen, geschmacklos. Die Sachen seien schon irgendwie arg gewesen. Hätten Sie es so herausfordern müssen, so die implizite Frage. Hier wurde ein paar Beispiele der Relativierung zusammengetragen.

Ja, viele der Karikaturen waren geschmacklos. (Auch Christen fänden übrigens ausreichend Material, um sich über Karikaturen aus „Charlie Hebdo“ zu beschweren.) Aber Meinungsfreiheit gehört zu den Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft. Und die Auslotung der Grenzen dieser Freiheit ist geradezu Aufgabe der Satire! Ja, der Diskurs über diese Grenzen kann in eklatanten Fällen auch vor Gericht geführt werden müssen. Auch die „verletztendste“ Satire kann aber nicht herangezogen werden, um in irgendeiner Form Mord zu rechtfertigen.

Die Opfer des Massakers in Paris, etwa Chefredakteur Stephane Charbonnier oder die Zechner Cabu, Tignous und Wolinski, sind den aufrechten Gang gegangen. Charbonnier hat bekanntlich gemeint, er würde lieber sterben als auf Knien leben. Die Redakteuere haben ihre Aufgabe ernst genommen, sind nicht den leichten Weg des Appeasements gegangen. Vielfach wird ja gerade im Umgang mit dem Islam eine unterwürfige Vorwegzensur vorgenommen, die so weit geht, dass wohl auch so mancher europäischer Moslem dafür kein Verständnis mehr hat.

Ob der feige Angriff der schwerbewaffneten Islamisten auf die höchstens mit Buntstiften bewaffneten Satiriker Erfolg hat, hängt jedenfalls nicht von kurzfristigen Solidaritätsbekundungen ab. Sondern davon, ob die Vorwegzensur noch weiter um sich greift — nicht nur bezüglich des Islams! –, ob vielleicht sogar mittels Hetzparagraphen kritische Stimmen mundtot gemacht werden sollen, oder ob doch gilt, was Klaus-Dieter Frankenberger in der FAZ doziert: Dass es im Kampf gegen die islamistischen Banden kein Zurückweichen geben darf, gerade nicht, was die Freiheit der Presse und der Meinung betrifft.

Es ist aber eher zu befürchten, dass die Wirkung des Anschlags genau diejenige sein wird, die sich die Terroristen gewunschen haben.

Die Presse oder Feigheit vor Twitter-Thronen

Die „Distanzierung“ der „Presse“-Chefredaktion von einem persönlichen Text über Kindererziehung und das Löschen einer Glosse zur öffentlichen Erklärung des Apple-Geschäftsführers Tim Cook über seine sexuellen Vorlieben in der „Neuen Zürcher Zeitung“ folgen einem Muster.

Mit lauthalsen Beschwerden versuchen Personen, meist Angehörige der chattering class, zu verhindern, dass gewisse Meinungen überhaupt abgedruckt werden dürfen. Dabei wird meist schweres Geschütz aufgefahren, nicht zu vergessen hochgradige moralische Empörung, „dass so etwas überhaupt abgedruckt wird.“ (Pressefreiheit, schau owa …)

Die Zeitungschefs sind aber zu feig, für Meinungsvielfalt und gegen Angehörige ihres eigenes sozialen Dunstkreises aufzutreten. Dafür lassen sie ihre eigenen Journalisten im Regen stehen, bei denen sie womöglich zuerst sogar eine „kontroversielle Meinung“ bestellt hatten. Feige, schäbige Chefs.

Das ist bemerkenswert, als es der Stolz mancher Zeitung war, widerständige Meinungen zu veröffentlichen oder gekonnt staatliche oder gesellschaftliche Zensur zu umgehen. Später war man auf kontroversielle Debatten stolz, weil sie Beweis einer lebendigen Demokratie seien. Das ist ja auch viel spannender als nur zwischen zwei Nuancen der gleichen Mainstream-Meinung auswählen zu können. Damit ist es nun aber wieder vorbei.

Es ist auch bemerkenswert, was überhaupt diesen Bannstrahl trifft. Die „Presse“-Beilage „Spektrum“ druckt regelmäßig Texte Ewiggestriger ab, die sich von den Verbrechen des Kommunismus nie distanzieren konnten; beim „Standard“ wird ein gegen bestimmte Religionsgemeinschaften hetzendes „Churchwatch“-Blog betrieben. Platz für islamistische Denker ist in beiden Zeitungen zu finden, für Gegner der Existenz Israels sowieso.

Ich sage ganz ehrlich: Das soll auch alles veröffentlicht werden dürfen. Ich brauche keine Zensur. Meine Meinung kann ich mir auch selbst bilden, danke sehr. Daher auch: Lieber widerborstige Meinungen, die zum Nachdenken anregen, den Widerspruch herausfordern, als glattgebürstete Einheitskommentare. Und selbst wenn der Text strohdumm sein sollte: Das halten wir aus. Es werden ohnehin genug andere strohdumme Artikel abgedruckt, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt.

Der Hetzparagraph: Politischer Tätigkeitsnachweis

Wenn Politiker signalisieren wollen, dass ein Problem angegangen wird, dann rufen sie gerne nach einem neuen Gesetz, strengeren Regeln, härteren Strafen. Insofern ist es kein Wunder, dass der sogenannte Verhetzungsparagraph neuerlich verschärft werden soll, wie der österreichische Justizminister Wolfgang Brandstetter beim „Gipfel gegen Hass“ erklärt hat. Der Strafrahmen soll von zwei auf drei Jahre erhöht werden, für erfolgreiche Aufstachelung zur Gewalt fünf Jahre, wobei wie bisher ein bestimmter Katalog von Gruppen durch diese Bestimmung geschützt wird.

Das klingt ja zuerst nicht so schlimm. Doch der betroffene § 283 des Strafgesetzbuchs hat es in sich. Denn unter Strafe steht nicht nur der Aufruf zu Gewalt, sondern auch, wer gegen eine durch Gesetz privilegierte Gruppe „hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht.“ Das ist ein besonderer Gummi-Tatbestand, der durchaus geeignet ist, die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken. Was kann nicht alles als Verächtlich-machen gewertet werden!

Wir verdanken es, glaube ich, mehr der Überlastung der Staatsanwälte und der generellen Besonnenheit der österreichischen Justiz, dass das demokratiefeindliche Monster, das sich im § 283 versteckt hält, auch weiter dort bleibt. Umgekehrt heißt das auch: Die angebliche Maßnahme gegen Terrorprediger ist natürlich keine, weil schon bisher kaum auf Basis dieses Paragraphen vorgegangen wurde.

In welche Richtung es gehen könnte, deutet die SPÖ an, wenn sie die Erweiterung des Katalogs geschützer Gruppen um „Ausländer“ fordert. Da Verächtlichmachen wegen der nationalen oder ethnischen Herkunft bereits in § 283 StGB enthalten ist, geht es hier wohl mehr um eine Möglichkeit, einen unliebsamen politischen Gegner regelmäßige Schienbeintritte geben zu können.

Grundsätzlich braucht man aber diese ganzen Verhetzungsparagraphen nicht. Eine großzügigere Interpretation der Anstiftung würde genügen, um Aufrufe zu Gewalttaten oder auch Vermögensdelikten zu erfassen. Meinungen alleine sollen aber nicht strafbar sein, so moralisch verwerflich sie auch sein mögen.

Der Papst in Albanien, dem Musterland

Die kurze Reise von Papst Franziskus nach Albanien ist medial etwas untergegangen, obwohl sie viele wichtige Hinweise auch für den Rest der Welt enthalten hat.

Albanien war jahrelang offiziell ein „atheistischer Staat“, womit gemeint war, dass der Kommunismus und der Kult um Staatschef Enver Hoxha Staatsreligion waren. Im Einklang damit gab es eine intensive Verfolgung der gläubigen Menschen. Wie in Albanien oder im Rahmen der Französischen Revolution, so bedeutet auch sonst aufgezwungener Atheismus nichts anderes als den gewaltsamen Versuch, den Glauben der Menschen durch eine andere Religion zu ersetzen.

Da es hier um das Innerste des Menschen geht, genauso um sein äußerstes Ziel, widersetzten sich viele mutig diesem Zwang offen; noch mehr andere zumindest heimlich. Die Begegnung des Papstes mit Überlebenden der Verfolgung ist wohl der berührendste Teil der Reise gewesen. Menschen, die jahrzehntelang inhaftiert waren, deren Todesurteil durch eine Fügung nicht vollstreckt war, die ihre Geschichte jetzt der Welt erzählen konnten. Viele andere mussten ihr Leben lassen, weswegen der Papst die Albaner als Volk der Märtyrer gewürdigt hat.

Die ganze Verfolgung erwies sich glücklicherweise als fruchtlos. Vor der Schreckensherrschaft des Hoxha-Regimes sollen etwa 70% der Albaner Moslems, 20% orthodox und 10% katholisch gewesen sein. Offiziell sind heute knapp 60% der Albaner Moslems, wiederum 10% katholisch und etwas weniger orthodox. Die übrigen Albaner neigen in der Praxis aber wohl einer der genannten Glaubensrichtungen zu, ausgenommen die ewiggestrigen Hoxha-Anhänger.

In dieser Praxis zeichnet sich Albanien durch ein friedliches Miteinander der Religionen aus. So sind auch viele Moslems in Tirana auf den Beinen gewesen, um den Papstbesuch mitzuerleben. „Papst Franziskus macht Albanien stolz“, schreibt die Deutsche Presseagentur (und in Gefolge die APA) zurecht. Zu diesem Miteinander trägt wohl auch die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung bei.

Papst Franziskus hat der Religionsfreiheit bei der Begegnung mit den Führern anderer Religionen und christlicher Konfessionen breiten Raum gewidmet. Der ganze Text ist sehr interessant, ich möchte aber folgende Stelle besonders herausgreifen:

[…] Ich erlaube mir, auf zwei Haltungen hinzuweisen, die besonders nützlich sein können bei der Förderung dieser Grundfreiheit.

Die erste besteht darin, in jedem Mann und jeder Frau – auch in denen, die nicht der eigenen religiösen Tradition angehören – nicht Rivalen und noch weniger Feinde zu sehen, sondern Brüder und Schwestern. Wer sich seiner eigenen Überzeugungen sicher ist, hat es nicht nötig, sich durchzusetzen und Druck auf den anderen auszuüben: Er weiß, dass die Wahrheit ihre eigene Strahlkraft besitzt. Im Grunde sind wir alle Pilger auf dieser Erde, und auf dieser unserer Reise leben wir in unserer Sehnsucht nach Wahrheit und Ewigkeit nicht als autonome Wesen, die sich selbst genügen – weder als Einzelne noch als nationale, kulturelle oder religiöse Gruppen –, sondern hängen voneinander ab, sind gegenseitig der Sorge der anderen anvertraut. Jeder religiösen Tradition muss es von innen her gelingen, dem Dasein des anderen Achtung zu zollen.

Eine zweite Haltung ist das Engagement zugunsten des Gemeinwohls. Jedes Mal, wenn die Zugehörigkeit zur eigenen religiösen Tradition einen überzeugteren, großzügigeren und selbstloseren Dienst an der gesamten Gesellschaft hervorbringt, ist das eine authentische Ausübung und Entwicklung der Religionsfreiheit. Dann erscheint diese nicht nur als ein rechtmäßig eingeforderter Raum der Unabhängigkeit, sondern als eine Möglichkeit, die mit ihrer fortschreitenden Ausübung die Menschheitsfamilie bereichert. Je mehr man den anderen zu Diensten ist, umso freier ist man! […]

Und dann möchte ich etwas ansprechen, das immer ein Phantom ist: der Relativismus, „alles ist relativ“. In diesem Zusammenhang müssen wir einen klaren Grundsatz berücksichtigen: Man kann keinen Dialog führen, wenn man nicht von der eigenen Identität ausgeht. Ohne Identität kann es keinen Dialog geben. Das wäre ein Scheindialog, ein Dialog in den Wolken – er ist nutzlos. Jeder von uns hat seine religiöse Identität und ist ihr treu. Aber der Herr weiß, wie die Geschichte voranzubringen ist. Gehen wir ein jeder von seiner eigenen Identität aus, und tun wir nicht so, als hätten wir eine andere, denn das nützt nichts und ist nicht hilfreich, das ist Relativismus. Was uns verbindet, ist der Weg des Lebens, ist der gute Wille, von der eigenen Identität auszugehen, um den Brüdern und Schwestern Gutes zu tu. Gutes tun! Und so gehen wir miteinander als Geschwister. Jeder von uns bietet dem anderen das Zeugnis der eigenen Identität an und
kommt mit dem anderen ins Gespräch. Dann kann der Dialog über theologische Fragen weitergeführt werden, aber wichtiger und schöner ist, miteinander zu gehen, ohne die eigene Identität zu verraten, ohne sie zu verschleiern, ohne Heuchelei. Mir tut es gut, so zu denken.

Es gibt freilich viele Glaubensüberzeugungen, denen die Idee völlig fremd ist, in anderen Menschen Bruder und Schwester zu sehen. Man braucht nur Friedrich Nietzsche lesen, um das ganz ausdrücklich vor Augen geführt zu bekommen. Doch in einer pluralistischen Gesellschaft ist die Akzeptanz des Anderssein des Anderen Grundvoraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben. Das auch die Akzeptanz des Eigenseins dazugehört, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber nicht, weswegen Papst Franziskus die Nebelwolke des Relativismus ansprechen muss, die auch heute noch gerne zur Tarnung von Gegnern der organisierten Religion versprüht wird.

Diskriminierung: „Levelling up“ klingt gut, ist schlecht

Der Vorstoß der SPÖ zu einer Verschärfung des Gleichbehandlungsgesetzes klingt auf den ersten Blick einmal sympathisch. Wer ist schon dafür, dass Menschen diskriminiert werden? Die SPÖ nennt das auch nett „levelling up“ — das Niveau des Schutzes gegen Diskriminierungen würde eben angehoben.

Wobei die Begründung etwas grotesk ist. Der Sieg eines Travestiekünstlers beim Song Contest hätte auf Diskriminierungen aufmerksam gemacht. Das widerspricht ja diametral den Aussagen aus der gleichen Ecke, der erste Platz für Conchita Wurst sei ein Sieg der Toleranz gewesen. Entweder — oder. Es ist doch eigentlich so: Sozialminister Hundstorfer hat diese Novelle schon zweimal auf die Reise geschickt, und sieht einen willkommenen Anlass dafür, es ein drittes Mal zu versuchen. Er soll nur bitte dafür nicht ein erfolgreiches Musikprojekt vereinnahmen. Das ist unehrlich.

Der Vorschlag, dass man bei privaten Verträgen nun gegen eine vermutete Diskriminierung nach Weltanschauung, Alter, Familienstand oder sexueller Orientierung gerichtlich vorgehen können soll, ist aber nichts anderes als eine Einladung für Klagsdrohungen und ein tiefer Eingriff in die Privatautonomie. Denn die Beweislast soll den Unternehmer treffen — eine Schuldvermutung zu widerlegen ist aber bekanntlich sehr schwierig. In Ländern, in der diese schwerwiegenden Eingriffe Realität sind, ist es daher auch geübte Praxis, bei einem Vertragsabschluss besonders deutlich darauf hinzuweisen, dass man einer durch ein Gleichbehandlungsgesetz privilegierten Gruppe angehört, um bessere Konditionen rauszuschlagen oder bei Ablehnung gleich einmal auf eine außergerichtliche Entschädigungszahlung zu pochen. Wer will den schon die schlechte Presse haben, er habe jemanden diskriminiert?

Privilegiert habe ich mit Absicht geschrieben: Denn es sind ja nur einige Merkmale arbiträr in die Liste aufgenommen worden, während andere, wohl ebenso unsachliche Unterscheidungen weiter erlaubt sein sollen. Die Religion wurde aus dem letzten Entwurf beispielsweise gestrichen, was angesichts der Erwähnung der Weltanschauung sehr seltsam ist — ist nicht jede Religion auch eine Weltanschauung? Und wer im Geschäft nicht bedient wird, weil er „so ein schiaches Gfries hat“, der wird anscheinend nach Ansicht Hundstorfers nicht diskriminiert.

Kern der Vertragsfreiheit ist ja, dass man eben frei ist, mit jedem mündigen Partner einen Vertrag abzuschließen, mit dem man das eben tun will. Und wie der kürzlich verstorbene Gary S. Becker gezeigt hat, schaden sich Unternehmer, die unsachlich diskriminieren, in der Regel selbst mehr als dem Gegenüber. Noch etwas: Was ist mit dem Recht des Unternehmers, nicht wegen seiner Weltanschauung etc. diskriminiert zu werden? Darf man ein muslimisches Restaurant zwingen, ein Buffet mit Schweinefleisch herzurichten? Einen Hochzeitsfotografen, Bilder einer Art Ehezeremonie zwischen einem Mann und mehreren Frauen auf einmal zu fotografieren? Klingt alles absurd, ist aber in manchen Ländern so oder so ähnlich bereits Thema von Gerichtsverhandlungen gewesen.

Hoffentlich bleiben wir von solchen massiven Staatsinterventionen in unser Handeln, Leben und Denken verschont.