Es ist ja fast aufreizend, wie die pflichtschuldigen Unterstützungsappelle für Emmanuel Macron eintrudeln. Da rufen 60 Botschafter zu seiner Wahl auf, weil nur er die Interessen Frankreichs in Europa und der Welt verteidigen könne. Der Präsident der Fédération Protestante de France, der Präsident des Conseil Français du Culte Musulman und der Großrabbiner von Frankreich äußern sich ebenfalls gemeinsam für Macron, weil er für den Frieden stehe und ein Frankreich garantiere, dass stark in seiner Geschichte sei, in seine Zukunft vertraue und in die Welt strahle. Die in Frankreich vielbeschworene Laïcité ist eben nur dann bedeutend, wenn es gegen die eigenen Interessen geht, ansonsten sind Äußerungen religiöser Führer durchaus erwünscht.
Aufreizend, weil ein Sieg Macrons eigentlich außer Zweifel steht. Macron ist zwar für die kapitalismuskritische Linke wirtschaftspolitisch viel zu liberal, doch umgekehrt ist Marine Le Pen für viele Konservative und Bürgerliche ebenso wirtschafts- und sozialpolitisch viel zu links und europapolitisch zu gefährlich. Mit übertreibenden Wahlempfehlungen kann man Macrons Wahlsieg sogar gefährden, weil irgendwann der Widerwille zu groß wird, sich sagen zu lassen, für wen man stimmen soll.
Ein Bewerbungsgespräch für den Oppositionsführer
Der Sieg Macrons wird auch von Marine Le Pen angenommen. Das hat man darin gesehen, wie sie die Präsidentschaftsdebatte angelegt hat: Nämlich sehr aggressiv. Macron hat ihr umgekehrt freilich auch nichts geschenkt.
Wie Nicolas Chapuis, Chef des Politikressorts bei Le Monde, analysiert, wollte Le Pen nicht ruhig und besonnen wie ein Präsident wirken, sondern wie der Chef der Opposition. Während sich weite Teile des politischen Systems hinter Macron gestellt haben, kann sie sich bei den Parlamentswahlen und im kommenden Lustrum als die einzig wahre Opposition darstellen.
Daher war die Absicht von Mélenchon, keine Wahlempfehlung für Macron abzugeben, richtig, um Le Pen dieses Monopol der Opposition nicht zu gönnen. Umso mehr, als zwischen dem Front National und France insoumise, der linken Bewegung Mélenchons, zahlreiche inhaltliche Überschneidungen bestehen.
Sollten tatsächlich 40% der Wähler Le Pen im zweiten Durchgang unterstützen, so kann man damit rechnen, dass auch bei den Parlamentswahlen in etlichen Wahlkreisen Mehrheiten des Front National möglich sind und die Partei mit deutlich mehr als dem bisher einen Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten sein wird.
Neue Fronten
In Frankreich bilden sich neue Fronten. Die vielen Überschneidungen des Front National und France Insoumise sind kein Zufall. Der Wunsch nach einem starken Staat, Arbeitsplatzsicherheit, umfangreichen Sozialleistungen, die Ablehnung der Binnenmarkt-zentrierten EU und der Glaube, eine lockere Geld- und Fiskalpolitik könne das alles finanzieren, eint die Gruppen. Dabei ist vor allem der Front National unter Marine Le Pen wirtschaftspolitisch nach links gerückt.
Innerhalb der Linken ist die Spaltung dagegen perfekt. Macron steht für die „moderne Linke“, die zwischen Hedonismus und Moralismus schwankt und kein Interesse mehr am ökonomischen Fortkommen und der Würde der Arbeiter hat. Auf der anderen Seite steht eine sehr kapitalismuskritische und staatsgläubige Linke, die aber überzeugt ist, damit die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Bernd Heinzlmaier hat diesen Konflikt im profil auf Österreich heruntergebrochen.
Beide Gruppen weiter als „Links“ zu bezeichnen, ist freilich gewagt.
Im bürgerlichen Lager spielt sich Ähnliches, aber mit geringerer Dramatik ab. Wohl auch, weil dem Bürgerlichen messianische Heilsversprechen in der Politik unheimlich sind und daher die entsprechenden Bewegungen nie die gleiche Radikalität entwickeln können.
Im Cicero schreibt Constantin Wißmann: „Viele der wirtschaftsfeindlichen Attacken Le Pens auf Macron hätten ebenso von einem Gewerkschaftsführer stammen können, Macron klang manchmal wie François Mitterand, manchmal wie Jacques Chirac. Die Debatte zeigte wieder auf: Der große gesellschaftliche Spalt unserer Zeit liegt nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen offen und geschlossen, zwischen Nation und Welt.“
Das ist von der Wortwahl her ein wenig unbeholfen, sind die Begriffe doch emotional aufgeladen. Wer ist heutzutage nicht gerne „weltoffen“? Aber es gibt eine Kluft an Werten und Überzeugungen, die umso tiefer ist, als ja kaum jemand heutzutage für die Richtigkeit seiner Werthaltung argumentiert, sondern sie als richtig voraussetzt.