Hawking auf der Suche


Stephen Hawking weiß, wie man über scheinbar trockene Materien so erzählt, dass sie interessant und spannend werden. Und er weiß, welche Worte er verwenden muss, damit ein Buch spannend klingt. Und so ist die Provokation mit seinem neuen Buch „Der große Entwurf“ wohlkalkuliert, wie auch Norbert Lossau in der Welt vermutet:

Die beste Werbung für ein neues Buch sind provokative, polarisierende Zitate, die man ungefähr eine Woche vor Erscheinen des Werkes lanciert. Diese sollten bei möglichst vielen Zeitgenossen große Emotionen hervorrufen, dabei ruhig auch bestimmte Gruppen der Bevölkerung verletzen und zugleich von anderen inbrünstige Zustimmung erheischen. Autoren, denen dieses Kunststück gelingt, dürfen vom ersten Verkaufstag an mit einem Platz in den Bestsellerlisten rechnen.

Denn eigentlich bietet der bekannte Physiker wenig Neues – außer einem Einblick darin, dass er von Philosophie nichts hält (und damit wohl auch von Wissenschaftstheorie …) und daher mit seinen philosophischen Spekulationen über Wesen und Ursprung der Welt bald in argumentativem Treibsand untergeht.

Der physikalische Unterbau – die theoretische Möglichkeit einer creatio ex nihilo – wurde schon länger diskutiert, wie Tom Chivers im Daily Telegraph erläutert:

Prof Hawking’s pronouncement is not groundbreaking, it’s just a fair assessment of our current understanding. [… T]his is not new evidence to say there is no God. It’s just another area, like evolutionary biology, where the apparent need for a designer to explain the observed facts of the universe has been removed, and it’s nothing we didn’t know already. I expect that most sensible believers will have no concerns about this at all, once they see past the hype.

Doch es geht Hawking um etwas ganz anderes, wie Thomas Kramar in seiner exzellenten Rezension des Buches in der „Presse“ schreibt:

Wenn Hawking scheinbar physikalisch dagegen [Zweck und Plan der Welt] argumentiert, betätigt er sich in Wahrheit längst als Theologe. Er sucht den „Großen Entwurf“, den ihm die Naturwissenschaft nicht bescheren kann, außerhalb von deren Grenzen.

Hawking ist auf der Suche nach dem Sinn der Welt. Dazu bedient er sich mittels eines Kunstgriffs der M-Theorie, die auf der Stringtheorie beruht und nach derzeitigem Stand nicht getestet werden kann. Gerade wird darüber diskutiert, ob möglicherweise der erste Test für die Stringtheorie also solche gefunden worden ist (oder auch nicht), da proklamieren Hawking und sein Mitautor Leonard Mlodinow, dass die M-Theorie die „Theory of Everything“ ist, und verheddern sich dabei in Widersprüchen, wie Peter Woit von der Columbia Universität anschaulich darstellt. Der Naturwissenschaftler konnte sich dabei auch einen Kommentar zu Hawkings Schöpfungsaussagen nicht verkneifen:

A British journalist contacted me about this recently and we talked about M-theory and its problems. She wanted me to comment on whether physicists doing this sort of thing are relying upon “faith” in much the same way as religious believers. I stuck to my standard refusal to get into such discussions, but, thinking about it, have to admit that the kind of pseudo-science going on here and being promoted in this book isn’t obviously any better than the faith-based explanations of how the world works favored by conventional religions.

Nun ist das nicht so überraschend. Jeder Mensch hat einen Glauben, und gerade dann, wenn man das nicht zugeben will, taucht er besonders leicht, weil unerkannt, auf. Ja, auch Hawking hat einen Glauben, der ihn trägt, und in dem der Mensch der Mittelpunkt der Welt ist, wie die Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung beschreibt:

Die Mikro- und Makrokosmos modellierende Theorie, der er den Vorzug gibt, begreift die – im quantenphysikalischen Spektrum experimentell verbürgte – Annahme ein, dass Beobachtungen das Beobachtete beeinflussen und dass sie dies auch dann tun, wenn es sich dabei um vergangene Ereignisse handelt. […]  So wird der Physiker zum Mythologen – zum Geschichtenerzähler – und zum kreativen Kosmologen. Er kann sagen und sagt: „Nicht die Geschichte macht uns, sondern wir machen Geschichte durch unsere Beobachtung.“ Das mutet, nach all den Demütigungen, die der Geschichte machen wollende Mensch im Laufe der Geschichte erleiden musste, wunderbar an – und wiederum bestätigt der Autor dem Leser ausdrücklich diesen seinen Eindruck.

Kramar macht es in der Presse-Rezension noch klarer:

Wenn man das gesamte Universum als Quantenobjekt sieht, meint Hawking, dann müsse man ihm auch zugestehen, dass es „nicht nur eine einzige, sondern jede mögliche Geschichte hat“. Was bedeutet, dass jedes der 10500 Universen, die die M-Theorie hervorgebracht hat, sich wiederum in unzählige Universen aufspaltet, die jeweils ihre eigene Geschichte haben. In einem davon leben Stephen Hawking und wir.

„Nur eine ganz geringe Anzahl“ dieser Universen, schreibt Hawking, „würde die Existenz von Geschöpfen wie uns zulassen. Daher selektiert unsere Anwesenheit aus dieser ungeheuren Zahl nur diejenigen Universen, die mit unserer Existenz vereinbar sind. Obwohl wir nach kosmischen Maßstäben nur winzig und unbedeutend sind, werden wir dadurch in gewissem Sinne zu den Herren der Schöpfung.“

Das anthropische Prinzip, das sich da zeigt, ist freilich eine Religion für Egomanen, wie Kramar in einem spitzen Kommentar klar macht. Denn im Endeffekt heißt das:

Jeder einzelne Mensch könnte mit derselben Berechtigung sagen: Die gesamte Geschichte (von der Aufspaltung der elektroschwachen Kraft über das Aussterben der Dinosaurier bis zum Aufeinandertreffen meiner Ururgroßmutter und meines Ururgroßvaters auf dem Kirtag von Oberunterberg) muss genau so verlaufen sein, wie sie verlaufen ist, damit ich existiere. Womit meine Existenz all diese Bedingungen quasi im Nachhinein erschafft.

Eine Ansicht, die heutzutage zumindest faktisch durchaus populär ist. Aber weder besonderen Tiefgang hat, noch irgendetwas mit rigoroser Physik zu tun hat. Dafür wohl viel mit dem persönlichen Schicksal des Autors, der so zum Mittelpunkt seiner Welt wird.

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