Mir ist unwohl bei der Gemeinwohl-Ökonomie …


Christian Felber ist ein gefragter Vortragender, der nicht nur die Marktwirtschaft bissig kritisiert, sondern auch selbst einen Entwurf einer durchgeplanten Wirtschaftsordnung vorgestellt hat, der den griffigen und wohlklingenden Namen „Gemeinwohl-Ökonomie“ trägt. Der Attac-Mitstreiter profiliert sich auch mit Vorschlägen gegen „Konzernmacht und Kapitalismus“ oder hat mit Michael Reimon das „Schwarzbuch Privatisierung“ herausgegeben. Felber ist übrigens Autodidakt; seine ökonomische Bildung hat er sich selbst angeeignet.

Einem Skeptiker stellt es schon beim Namen „Gemeinwohl-Ökonomie“ die Haare auf. Zum ersten ist das Gemeinwohl nicht einfach zu definieren, und wird von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit Sicherheit verschieden gesehen, wenn nicht sogar überhaupt bestritten. Ist es das, was für alle Menschen gut ist? Das größte Glück der größten Zahl? Ist es die „Gesamtheit der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ermöglichen, die eigene Vollendung voller und leichter zu erreichen“? (Gaudium et Spes 26,1) Felber sieht das Gemeinwohl in der Tradition der ökologischen Linken, wie sich z.B. in den Gemeinwohlbilanzen niederschlägt, auch wenn er offiziell der Meinung ist, daß sich, was Gemeinwohl ist, aus demokratischen Abstimmungen in einer Art Rätesystem ergibt.

Zum zweiten steht die Durchsetzung eines postulierten Gemeinwohls in einem freiheitlich-rechtsstaatlichen Gemeinwesen immer in Spannung zu den Grundrechten des einzelnen, der in seiner Freiheit in Berufung auf das Gemeinwohl beschnitten wird. Der Katechismus der Katholischen Kirche meint deswegen etwa zum Gemeinwohl:

Erstens setzt es die Achtung der Person als solcher voraus. Im Namen des Gemeinwohls sind die öffentlichen Gewalten verpflichtet, die unveräußerlichen Grundrechte der menschlichen Person zu achten. Die Gesellschaft muß jedem ihrer Glieder ermöglichen, seine Berufung zu verwirklichen. Insbesondere besteht das Gemeinwohl darin, daß man die natürlichen Freiheiten ausüben kann, die unerläßlich sind, um die Berufung als Mensch zu entfalten: „das Recht zum Handeln nach der rechten Norm seines Gewissens, das Recht auf Schutz des Privatlebens und auf die rechte Freiheit, und zwar auch im religiösen Bereich“ (KKK 1907)

Nun ist es wohl kein Zufall, daß die „Werte der Gemeinwohl-Ökonomie“ zwar Kooperation, Demokratie und Solidarität umfassen, aber nicht etwa Freiheit. Die massiven Eingriffe, wie die Enteignung größerer Unternehmen, oder die geplanten Unterrichtsfächer Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Genderkunde, Demokratiekunde und Naturerfahrens-/Wildniskunde, mit denen die Indoktrinierung der Bürger sichergestellt werden soll, sprechen eine deutliche Sprache: Grundrechte wie die Erwerbsfreiheit, das Recht auf Eigentum oder die Gewissensfreiheit, allesamt mühsam erstritten, haben in der Gemeinwohl-Ökonomie keinen Platz mehr.

Nun hat sich der Schriftsteller Michael Amon mit Felbers Gemeinwohl-Ökonomie beschäftigt, und sein Urteil ist ähnlich. Zur geforderten Durchdemokratisierung schreibt er:

Man fragt sich, wann die Leute den Wohlstand der „Gemeinwohl-Ökonomie“ produzieren sollen, wenn sie ihre demokratischen Rechte in den wie Schwammerln aus dem Boden schießenden Einrichtungen ausüben wollen: demokratische Banken, Gemeinwohlkonvent, branchenweise Kooperationsausschüsse, demokratische Bahn, Post, Stadtwerke und Kindergärten. Ein „demokratischer Bankenrat“ besteht aus Vertretern der Bankangestellten, Konsumenten, Schuldnern, regionalen KMUs, Gender-Beauftragten (!) und Zukunftsanwaltschaft.

Kurioserweise vergisst Felber bei dieser absurden Detailverliebtheit auf Vertreter der kleinen Sparer. […] Felber unterschätzt sträflich die Differenz zwischen Schreibtisch und Realität und die Tatsache, dass ein Zuviel an Gremien, die direktdemokratische Kontrolle brauchen, genau dieser Kontrolle entgleitet, weil nur eine kleine Minderheit in der Lage ist, in endlosen Gremiumssitzungen Lebenszeit zu vergeuden. Überdosierte Heilmittel machen krank.

Dafür ist es geradezu absurd, wie in der Formulierung der Gemeinwohl-Ökonomie die Logik des kollektiven Handelns, die Theorie der Bürokratie, die sozialen Mechanismen in Gruppen, das Prinzipal-Agent-Problem usw. völlig ignoriert werden. Kurz gesagt: Die Gemeinwohl-Ökonomie ist nicht für reale Menschen, sondern für ideale Menschen. Zugegebenermaßen: Nicht meine Ideale.

Übrigens: Unter Amons Artikel finden sich zahlreiche Kommentare aus Felbers Fangemeinde, zumindest unter verschiedenen Login-Namen. Ob es sich dabei auch um verschiedene Personen handelt, entzieht sich meiner Kenntnis.  Typisch etwa folgender unveränderter Text:

Alternativen zum herrschenden Geld-und Wirtschaftssystem sind dringend notwendig. Zinseszins,Geldschöpfung aus dem Nichts, Spekulationen,… sind Ursachen der Weltfinanzkrise. Herr Amon schreckt sich vor neuen anderen Ideen. Die Wirtschaft hat für die Menschen da zu sein und nicht umgekehrt. In diesem kaputten System gibt es keine Lösung mehr. Die Systemfehler müssen korrigiert werden.Empört euch! Es wird nur mehr von unten nach oben verteilt. Die Reichen werden immer reicher.
Engagiert euch! Es gibt schon viele Firmen , die das Modell von Christian Felber übernommen haben.

Keine Gegenargumente, nur Appelle an Ressentiments und Aufrufe zur Aktion. Warum muß ich dabei schon wieder an Georges Sorel denken?

5 Gedanken zu “Mir ist unwohl bei der Gemeinwohl-Ökonomie …

  1. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ lautete einmal eine prägnante Formel, die (mit den Worten des ehemaligen Staatssekretärs der Reichskanzlei, Dr. Hans-Heinrich Lammers) das „“das gesamte Leben des Volkes beherrschende, alles umfassende und daher von der Staatsführung in den Vordergrund gestellte Glaubensbekenntnis des Nationalsozialismus“ darstellte.

    Im Grundgesetz heißt es demgegenüber „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
    Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Artikel 14 Abs. 1 und 2).

    Wie immer man ‚Gemeinwohl‘ theoretisch und praktisch bestimmen mag, es als dem Wohl des Einzelnen vorgängig zu setzen, heißt in meinen Augen, sich geradewegs auf dem Weg zur Knechtschaft zu befinden.

    Viele Grüße
    Morgenländer

  2. Der Kapitalismus ist ebenfalls eine Ideologie (und bitte nicht verwechseln Marktwirtschaft ist nicht gleich Kapitalismus) und wird so weit wie es nur geht umgesetzt. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ebenfalls eine Ideologie und kann nur, wie jede Ideologie, so weit wie möglich angestrebt werden und natürlich muss Felber nicht 100% „übernommen“ werden, aber einige Ansätze sind sicher sehr nützlich. Es gilt zu probieren…

    • Danke für den Kommentar. „Kapitalismus“ ist vor allem ein Popanz; ein äußerst unscharfer Begriff, mit dem diffuse Ängste hervorgerufen werden. Ursprünglich wurde er als Beschreibung der wirtschaftlichen Seite der Veränderungen der Gesellschaft des 18./19. Jahrhunderts geprägt, als Industrialisierung und wachsender Handel die alten, auf Landbesitz aufgebauten Ordnungen erschüttert haben. Meist wurde er allerdings von Gegnern dieser Umwälzungen verwendet.
      Im Gegensatz zum deskriptiven Begriff „Kapitalismus“ ist die „Gemeinwohl-Ökonomie“ tatsächlich eine Ideologie, eine Ideengebäude – und wie ich im Artikel ausgeführt habe, halte ich die Fundamente dieses Gebäudes für äußerst brüchig. Ja, in jedem Ideengebäude, und sei es noch so verkommen, finden sich irgendwo ein paar interessante Details, die man sich aneignen kann. Trotzdem will ich darin nicht wohnen. Und probieren sollte man mMn nur dann, wenn Risken und Chancen in einem passenden Verhältnis zueinander stehen. Das sehe ich bei Felbers Konzepten überhaupt nicht.

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